Schinken zum Auftakt

■ Wenig aufregend: Mit Giacomo Puccinis Oper „Turandot“ eröffnete das Oldenburgische Staatstheater die neue Spielzeit

Es gibt wenig Märchen, die sich gegen jegliche Aktualisierung so zu sperren scheinen wie „Turandot“, jene uralte chinesische Geschichte aus „sagenumwobener Vergangenheit“, in der die Prinzessin Turandot zahllose Bewerber um ihre Hand köpfen lässt, weil die die Bedingungen dieser Bewerbung nicht erfüllen können: drei Rätsel zu lösen. Kalaf löst sie, will aber ihre Liebe und bietet der verzweifelten Frau an, in dem Fall zu sterben, wenn sie bis zum Morgenrgauen seinen Namen herausfinde. Als das schief geht, nennt er ihn ihr. Die eiserne Prinzessin tritt vor das Volk und sagt: „Seine Name ist ...“ (die Spannung wächst). – und dann sagt sie: „Liebe!“. Diesen Schinken hat Giacomo Puccini 1926 als sein letztes Werk vertont und unvollendet hinterlassen (immer noch schwer vorstellbar, daß ein Jahr vorher Alban Bergs „Woyzeck“ uraufgeführt wurde).

Es gibt drei Grundvoraussetzungen für die Aufführung dieser Oper: man braucht eine Turandot (gnadenlos schwer ist nicht nur ihre musikalische Partie selbst, sondern auch die Ausstrahlung, die sie haben muss, in dem sie ja nie handelt, sondern einfach nur dasteht, wie „Eis“, wie sie selber von sich sagt). Und man braucht einen Kalaf, der die zeitlich zwar knappen, aber umso gewaltigeren gesanglichen Anforderungen erfüllt. Sein berühmtes „Nessun dorma“ scheint in ganz China klingen zu müssen. Und schließlich braucht man einen Regisseur, der die Begründung dafür liefert, warum er diese – gelinde gesagt – unzeitgemäße Geschichte erzählt.

Zur Spielzeiteröffnung am Oldenburgischen Staatstheater taten alle drei ihr Bestes, aber am letzten Schliff für einen großen Opernabend fehlte es denn doch. Der regieführende Generalintendant Stephan Mettin begnügte sich mit Stellungen und Plazierungen, innerhalb derer es dann einige gute Szenen gab: Die große Szene der Li (großartig Susanne Schubert), die auch unter der Folter den Namen Kalafs nicht preisgibt, die Begegnung Turandot-Kalaf, in der es bewegende Momente gab. Aber für die eigentlichen Fragen gab es zu wenig Deutungsangebote: Warum schreitet hier eine Frau zu solchen archaischen Racheakten wie Turandot – sie rächt eine geschändete Ahnin – ; warum will Kalaf nicht nur aus Liebe, sondern wohl auch aus Machtgier diese Frau haben. Auch die politischen Implikationen, verkörpert durch das blutrünstige Volk und die drei opportunistischen Minister, die die Macht vertreten, bleiben zwar ahnbar, aber letztendlich zu schwach akzentuiert.

Sarah Johannsen als Turandot beeindruckte schauspielerisch und gesanglich, blieb aber der Größe und dem Geheimnis ihrer Figur vieles schuldig. Und Sergej Naida als Kalaf: das alte Problem des Heldentenors. Das heißt eindrucksvolle Stimmpotenz, nicht notwendig aber Gesangskultur. Kaum ein Legato, kaum ein Piano war bei dem sibirischen Sänger zu hören, dafür ein unglaublich schönes und interessantes Material von großer Strahlkraft und fast baritonaler Tiefe. Das Oldenburgische Staatsorchester unter der Leitung von Reinhard Seifried bot pompöse Schlagkraft, chinesisches Kolorit und nuancierte Abtönungen, wo–s erforderlich war. Sehr gut der stimmstarke Chor. Ute Schalz-Laurenze

28. September u. 7., 10., 14., 23., 27. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr im Großen Haus