: Serbische Opposition schöpft Hoffnung
In Belgrad protestierten rund 40.000 Menschen gegen Milosevic. Mühsamer Kampf gegen die Apathie der Bevölkerung. Milosevic setzt auf den Selbstzerfall der Opposition ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji
Am fünften Tag der Massendemonstrationen gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic und das serbische Regime hat die „Allianz für den Wandel“ wieder Hoffnung geschöpft: Nach einem schwachen Auftakt am vergangenen Dienstag versammelten sich am Samstag immerhin etwa 40.000 Menschen in Belgrad. Die Kundgebung richtete sich gegen die gleichgeschalteten serbischen Medien und so marschierten die Demonstranten nach einigen ermutigenden Reden von Mitgliedern der Allianz die sogenannte „Medienroute“ in der Innenstadt ab: Vom Gebäude des Staatsfernsehens verlief die Route über den Sitz des regimetreuen Zeitungskonzerns „Politika“ bis hin zu dem Belgrader Fernsehsender „Studio B“, der vom Vorsitzenden der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO), Vuk Draskovic, kontrolliert wird.
Erneut hallte das Zentrum Belgrads von Pfiffen und Protestrufen wider, was ansteckend auf viele Passanten wirkte, die sich spontan dem Demonstrationszug anschlossen. Und genau darauf setzt die Allianz: Dass mit jedem Tag mehr Bürger Serbiens mit dem „Virus des Widerstands“ infiziert werden, dass die Protestwelle letztendlich ganz Serbien überschwemmen wird.
Ein hoher Vertreter der regierenden Miloševic-Sozialisten, der anonym bleiben wollte, meinte jedoch gegenüber der taz, die größere Anzahl der „protestierenden Spaziergänger“ sei dem Wochenende und dem außergewöhnlich schönen Wetter zuzuschreiben. Erst in der kommenden Woche werde sich herausstellen, ob diese Protestwelle endgültig gescheitert sei. Außerdem sei dieser ganze „Straßenzirkus“ gesetzeswidrig, die Führung der Allianz täte besser daran, sich auf anstehende Gerichtsprozesse vorbereiten.
Der Koordinator der Allianz, Vladan Batic, versicherte hingegen, der Kampf gegen Miloševic werde „mit aller Härte“ fortgesetzt. In zwei Wochen werde man die Strategie der Demonstrationen verändern. Dann würde die Allianz alle Straßen, Eisenbahnstrekken, Brücken und Grenzübergänge, also ganz Serbien blockieren. „Wir sind überzeugt, dass die Massenkundgebungen Resultate zeigen werden. Wir sind zum Alptraum des Regimes geworden!“, erklärte Batic.
Allerdings könnte man auch zu der Ansicht kommen, dass Miloševic und seine Mannen vorerst große Erleichterung spüren. Denn die Rechnung in Serbien ist einfach: Wenn die Masse der unzufriedenen Bürger, die täglich gegen das Regime demonstrieren, groß genug wäre, dann könnte Miloševic tatsächlich entmachtet werden. Doch dafür müssten Millionen Demonstranten in ganz Serbien und mindestens eine Million in Miloševic' Residenzstadt Belgrad bereit sein, wochen-, gar monatelang auf die Straße zu gehen.
Bis heute konnte die Allianz jedoch im ganzen Land nur einige Zehntausend Menschen auf die Beine bringen. Es ist ihr vorerst zumindest nicht gelungen, die verarmte, frustrierte Bevölkerung dazu zu bringen, trotz geringer Erfolgsaussichten weiterhin an friedlichen Massenkundgebungen gegen das Regime teilzunehmen. Der riesige Unmut, der in Serbien herrscht, ist bislang nicht zum Ausdruck gekommen.
Miloševic selbst kümmert sich überhaupt nicht um Massendemonstrationen, ensprechend seiner guten, alten Gewohnheit aus dem Jahr 1996/97, als eine Million Menschen gegen ihn protestierten. Er wartet geduldig ab, dass der oppositionelle Elan nachlässt, und setzt darauf, dass die Koalition der Opposition ohnehin nur zweckbestimmt ist und wegen zu großer ideologischer Unterschiede von allein auseinanderfallen wird. Auch die internationale Gemeinschaft hat keinerlei neue Druckmittel mehr gegenüber Miloševic, denn auf der Liste des Kriegsverbrechertribunals befindet er sich bereits. Serbien ist sich selbst überlassen.
„Die Strategie der Allianz ist falsch. Miloševic kann man nicht auf der Straße entmachten“, hat Vuk Draskovic erklärt, und dementsprechend ignoriert sein Parteisender „Studio B“ kurzerhand die Demonstrationen – womit er sich kaum von den regimetreuen Medien unterscheidet. Der einzige Ausweg für Serbien seien freie, demokratische Wahlen, meinte Draskovic. Für einen Sieg bräuchte die Opposition zwischen 1,7 und 1,8 Millionen Stimmen. Die SPO würde eine Million gewinnen, die Allianz sollte für den Rest sorgen. Doch wieder einmal enthüllte Draskovic nicht, wie er das Regime zur Ausschreibung freier Wahlen zwingen will – wenn nicht mit Massendemonstrationen.
Am Montag will der „Bund demokratischer Parteien“ in Novi Sad die „erste freie Regierung der Wojwodina“ verkünden. Dann würde diese serbische Provinz, deren Autonomie Miloševic vor einem Jahrzehnt aufgehoben hatte, die Führung in Belgrad nicht mehr anerkennen.
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