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Mangelerscheinungen

Vor dem heutigen Achtelfinale gegen Tunesien keimt bei der deutschen Mannschaft die Gewissheit, dass sie bei Handball-Weltmeisterschaft in Frankreich bestenfalls gehobenes Mittelmaß erreichen

aus Albertville ANKE BARNKOTHE

Im Grunde genommen hätte der Nationaltrainer der deutschen Handballer am Sonntag nach dem letzten Vorrundenspiel gegen Grönland sofort ein Grußtelegramm nach Kuba schicken müssen. Was Grönland mit Kuba und das alles mit Heiner Brand zu tun hat? Normalerweise nicht viel. Da der kubanische Handballverband aber wegen finanzieller Engpässe sein bereits qualifiziertes Team von der WM abmeldete und die Internationale Handball Föderation kurzfristig Grönland nachnominierte, blieb dem schnauzbärtigen Gummersbacher einiges an psychologischer Aufbauarbeit erspart.

Die Köpfe seiner Spieler hatten nach der deklassierenden 22:31-Niederlage gegen Spanien sehr tief gehangen. So kam ihm Grönland, das am Tag danach mit 39:8 abgefertigt wurde, gerade recht, um das angeknackste Selbstbewusstsein zu stützen; wobei Stefan Kretzschmar, Christian Ramota, Jörg Kunze und Frank von Behren pausierten und die bisher nicht eingesetzten Spieler internationale Erfahrungen sammeln konnten.

Getrost kann der Vorrundenabschluss als kollektiver Verdrängungsmechanismus gewertet werden. Denn auch ein Sieg in dieser Höhe gegen einen bestenfalls drittklassigen Gegner kann nicht vergessen machen, wie deutlich dem deutschen Handball gegen Spanien, den Olympiadritten von Sydney, die Grenzen aufgezeigt worden waren. Die Niederlage, die Heiner Brand mit mangelnder Chancenverwertung und der überragenden Tagesform des spanischen Torwartes zu begründen suchte, machte eines deutlich: Die aktuelle deutsche Nationalmannschaft droht im Mittelmaß zu versinken. Juan de Dios Roman Seco, langjähriger spanischer Nationaltrainer, bezeichnete das deutsche Team als das schlechteste der vergangenen Dekade. Im Gegensatz zu diesem Team verfügt zumindest jeder der europäischen Konkurrenten über zwei bis drei echte Varianten im Abwehrsystem. Und überdies verfügen sie über eine gelungene Mischung aus geübtem Zusammenspiel gepaart mit individueller Kreativität – im Gegensatz zum stupiden Abspulen mannschaftlicher Bewegungsmuster.

Deutschland bietet zurzeit: in der Abwehr eine Hau-drauf-6:0-Deckung und vorn das redliche Bemühen von Akteuren, die nur auf durchschnittliche technische Fähigkeiten zurückgreifen können. Ausnahmen bestätigen hierbei die Regel: Florian Kehrmann machte in den vergangenen zwei Jahren einen beeindruckenden Leistungssprung und von Stefan Kretzschmar weiß man, über welche Möglichkeiten er verfügt. Jedoch: Außenspieler allein entscheiden keine Spiele.

Dass das Team von Heiner Brand dennoch Gruppenzweiter und weiterhin so gut im Wettbewerb ist, verdankt es in erster Linie seinem Respekt gebietenden Engagement. Und so hat es sich mit dem Glück des Tüchtigen Tunesien am heutigen Mittwoch als Achtelfinalgegner durchaus verdient. Doch Vorsicht: Zwar war für die Nordafrikaner bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften nach der Runde der letzten 16 Schluss, diesmal sind sie aber Gruppendritter, haben sowohl Slowenien als auch Norwegen hinter sich gelassen und mit 20:23 einen Achtungserfolg gegen Russland erreicht. Trotzdem sagt Kapitän Frank von Behren, „wir wollen auf jeden Fall das Viertelfinale erreichen“ – und mit dem expliziten Hinweis, dass man Tunesien nicht unterschätzen wolle, schielt er schon mal eine Runde weiter auf den Donnerstag: „Dort würden wir dann auf Frankreich treffen.“ Denn davon, dass Frankreich in Albertville Portugal schlägt, ist auszugehen. Ob von Behren aber mit seinem Nachsatz im Lande des Weltmeisters von 1995 richtig liegt, bleibt abzuwarten: „Die Franzosen, die liegen uns.“

Aller Voraussicht nach werden sich in den weiteren Spielen die Teams aus Schweden, Spanien und Russland für die Endrunde in Paris qualifizieren. Alle wurden bisher ihrer Favoritenrolle gerecht und gehen als Gruppenerste in die Achtelfinals.

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