: Last Minute Nabucco
In Italien streiten sich der Staatspräsident, die Lega Nord und der Vatikan eifrig um die symbolischen Rechte an Giuseppe Verdi. Die real existierende Kulturnation einigt sich derweil auf Andrea Bocelli
von MARINA COLLACI
„. . . verdi dalla rabbia“, „grün vor Wut“, präsentierte sich ein kleines Häuflein Immigranten bei den pompösen Verdi-Feierlichkeiten, um gegen ihre Wohnungsnot zu demonstrieren. Das Wortspiel – der Gefeierte hätte Josef Grün geheißen, wenn er nördlich der Alpen das Licht der Welt erblickt hätte – sollte die herausgeputzte feiernde Gästeschar am Samstag in Parma auf einen Verdi stoßen, von dem dieser Tage kaum jemand sprach.
Plebejer in Lumpen, den Hut tief ins Gesicht gezogen, bevölkerten nicht umsonst die Chöre seiner Opern – Verdi waren die sozialen Konflikte seiner Zeit nur zu bewusst. Den in Parma zum Schutz der Festivitäten abgestellten Polizisten, die wahrscheinlich Nabucco für ein exotisches Reiseziel halten, war's egal: Mit dem Schlagstock in der Hand sorgten sie dafür, dass die Veranstaltung mit der gebotenen Würde über die Bühne gehen konnte.
Im Saal stand ein Staatsakt auf dem Programm: Abgefeiert wurde ein Verdi in der Version „Vater der italienischen Republik“. Das „Requiem“ in der Kulisse des Doms wurde zum nationalen Pflichtprogramm. Entsprechend dicht gedrängt saß die Politikerschar in den ersten Reihen, vor wie nach dem Konzert gab's reichlich lobende Worte für Verdi. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi standen fast die Tränen in den Augen, während er ein ums andre Mal den vor 100 Jahren Gestorbenen zur Inkarnation des Vaterlands erklärte. „Italiens Identität“ fiel als nicht sonderlich originelle Variante zum Thema der Kulturministerin Giovanna Melandri ein. Umberto Bossi von der Lega Nord dagegen hätte es gern eine Nummer kleiner: Ihm genügt Verdi als Symbolfigur eines Vaterlands, das der arme Komponist gar nicht kannte – des norditalienischen „Padanien“, das ja immerhin von Bossi schon vor einigen Jahren den „Va pensiero“ als Nationalhymne verordnet bekommen hatte. Der Papst wiederum steuerte aus Rom seinen Verdi bei und ernannte ihn flugs zum Vertreter der ganzen Christenheit.
Klar, dass bei so viel Bedeutung monatelang heftig gefeiert werden muss. Klar auch, dass andere dabei unter die Räder kommen. Wer schon in Italien erinnert sich dieser Tage groß an Domenico Cimarosa, der vor 200 Jahren starb? Nicht viel besser ergeht es Bellini, der sich zu seinem runden Geburtstag in Parma mit einer „Norma“-Inszenierung im Rahmen des Verdi-Programms bescheiden muss. Für Verdi dagegen ist Party ohne Ende angesagt – und die Eifrigsten sind schon dabei, die Programme für 2013 anzudenken. Dann nämlich gilt es, den 200. Geburtstag des „Schwans von Busseto“ zu begehen.
Busseto? Lokale Zuordnungen können bei so viel überbordender Verdi-Leidenschaft schnell zum Fettnäpfchen werden. Gewiss, er kam im Weiler Roncole nahe dem Dorf Busseto zur Welt, doch um den Titel „Verdi-Stadt“ kabbeln sich von groß bis klein gleich mehrere Ortschaften. War Mailand mit der Scala nicht Verdis Wirkungsstätte par excellence? Gehörte seine Liebe nicht Genua, in das er sich immer wieder zurückzog? Hat Parma nicht das Erstzugriffsrecht, weil er ein paar Kilometer entfernt seine Heimat hatte?
Schwer zu entscheiden, vor allem wenn der Staatspräsident an einem Tag streng überparteilich und etwas atemlos gleich alle Stätten abklappert, die Verdi mal wichtig waren. Doch der Blick auf die Programme spricht dafür, dass Parma zur Zeit am besten im Rennen liegt. Das Teatro Regio restauriert, ein Auditorium unter Federführung Renzo Pianos gebaut, ein neues Multimedia-Archiv mit allen Verdi-Aufnahmen eingerichtet, Verdi-Chor und -Orchester gegründet, ein festes alljährliches Verdi-Festival geplant: Parma hat die üppige staatliche Finanzierung von weit über 100 Millionen Mark mit Weitblick genutzt. Doch auch das aktuelle Festprogramm verrät Ehrgeiz. Angeheuert wurden Valery Gergiew – er hat zum Auftakt das „Requiem“ und den „Maskenball“ dirigiert –, Claudio Abbado, Zubin Mehta, das New York City Ballett. Dazu gibt's reichlich Veranstaltungen rund um Verdi, mit Schriftstellern (Derek Walcott, Daniel Pennac, José Saramago) und Filmregisseuren (Ken Loach, Werner Herzog, Giuseppe Bertolucci, Dennis Hopper). Und obendrauf steigt ein Festival im Festival: Weil Verdi ihn über alles schätzte, darf auch Shakespeare sich über einen Schwung von Inszenierungen seiner Stücke freuen.
„Die Feiern, die Parma abhält, stellen eine Plünderung dar“, grollt der Regisseur Franco Zeffirelli, der für die Festlichkeiten in Busseto engagiert worden war und sich dank seiner Neigung zu Prunk und Pomp Verdi im Geist verwandt fühlt. Er hatte es in der Tat nicht leicht: Seine „Aida“ musste am 27. Januar im Mini-Theater von Busseto (knapp 300 Plätze) ohne Elefanten auskommen, und mancher Zuschauer lästerte hinterher, es habe Oper im Videogame-Format gegeben.
Selbst Schuld, möchte man den Bussetanern zurufen: Sie bewarfen Verdi zu Lebzeiten mit Steinen, sie wollten das von ihm gewünschte Theater mit 800 Plätzen nicht, und wenn sie schnippisch bemerkten, „hier sind alle Kinder Verdis“, dann sprachen sie nicht von musikalischen Affinitäten, sondern spielten auf das rege Liebesleben des Komponisten an, der damals als „Emporkömmling“ seinen Dorfmitbürgern ebenso verhasst war, wie er heute voller Eifersucht gefeiert wird.
Recht besehen aber passt die Eifersüchtelei prima zum Festprogramm, in dem es um Verdi als Ikone der nationalen Einheit geht – einer Nation, die sich auch beim musikalischen Einheitsfeiern mal wieder als Land der hundert Kirchtürme outet. Rund um alle Kirchtürme Parmas, Bussetos, Mailands, Genuas allerdings ist da der Herr Verdi ziemlich unter die Räder gekommen, der Verdi, der nicht Opern für steife Galas komponieren wollte, sondern Musik fürs Volk.
Auch im Gedenkjahr muss sich der große Sohn mit kleiner Audience begnügen. In der Schule ist Oper nicht vorgesehen, und die staatliche RAI hat zwar alle 26 Opern des Meisters im Programm – jedoch nur auf einem ihrer Satelliten-Kulturkanäle mit 0,05 Prozent Einschaltquote. Da überraschen die Ergebnisse einer gerade in Italien veröffentlichten Umfrage zum 100. Todestag nicht mehr. 33 Prozent der Italiener sind fest davon überzeugt, dass der Hit „Va pensiero“ für Andrea Bocelli komponiert wurde, „Don Carlos“ wird der Mehrheit der Befragten zu einem prominenten Torero, und „Figaro“ zum gefährlichen Banditen. Doch irgendwie hat der Herr Staatspräsident trotzdem Recht: So gut wie alle Befragten lieben Verdi.
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