: Schmettern für Taschengeld
Rund 30.000 Mark hat der Standvolleyballer Bernard Schmidl für sein drittes Paralympics-Gold in Sydney investiert, jetzt zieht sich der 33-Jährige gelinde frustriert aus dem Nationalteam zurück
von THOMAS HERGET
Es gibt Anrufe, auf die zu warten es sich einfach nicht mehr lohnt. Deshalb lässt sich der rotblonde Hüne nur noch matt aus der Reserve locken, wenn im Gespräch der Name seines ehemaligen Heimatvereins fällt. Dreimal in Folge hat Bernard Schmidl Gold gewonnen bei den Paralympics, den Spielen der Behinderten. Doch stets, wenn er einen kleinen Empfang im Rathaus erwartete, ein Glückwunschtelegramm oder ein paar warme Worte des Bürgermeisters von Crumstadt, kniff die kleine südhessische Gemeinde.
„Da sollen wohl alte Rechnungen beglichen werden“, glaubt der 33-jährige Standvolleyballer. Seit der 1,94 Meter große Athlet seine gefürchteten Sprungangaben für den Landesligisten TSV Auerbach macht und dort mit variablen Aktionen am Netz zu beeindrucken weiß, herrscht endgültig Funkstille zwischen ihm und dem Örtchen, dessen Namen er in die Welt getragen hat. Zu einer Versöhnung wird es wohl nicht mehr kommen. Zum einen werden in Athen 2004 die Stand-Herren von den Sitzvolleyballerinnen aus dem Paralympics-Programm verdrängt, zum anderen will sich Bernard Schmidl nun mehr um Beruf und Familie kümmern. Drei Ortschaften weiter hat er sich ein Grundstück gekauft, „das war eben billiger als hier.“ Im Frühjahr will er anfangen zu bauen. Man sieht ihm an, dass der Abschied von Crumstadt nicht schwer fallen dürfte.
So konsequent er seinen Rückzug aus dem internationalen Spitzenvolleyball einleitet, so professionell bereitete er sich auf seine letzten Paralympics im vergangenen Oktober in Sydney vor. Faktisch arbeitslos – der Arbeitgeber bot dem diplomierten Betriebswirt keine Freiräume –, schindete Schmidl sich bis zu dreimal täglich auf eigene Kosten. Rund 30.000 Mark habe ihm das vergoldete Unternehmen Sydney letztlich gekostet, rund 2.000 Mark schüttete die Deutsche Sporthilfe den Behinderten-Volleyballern als Medaillenprämie aus. Der Kursgewinn, den die Paralympics an gesellschaftlicher Wertschöpfung und Medienpräsenz verzeichneten, ist bei den Athleten noch nicht angekommen.
Dafür ist die Gangart beim Pritschen und Baggern härter geworden, nicht bloß beim Thema Doping. Mit Sponsorengeldern und Übertragungsrechten kommen auch falscher Ehrgeiz und Manipulationen ins Spiel. Die spanische Basketballmannschaft, die in Sydney Gold gewann und jüngst als ein Team von Gesunden geoutet wurde, sei längst kein Einzelfall mehr, weiß Schmidl. So würde beim Volleyball seit Jahren mit verlängerten Bein- oder Armprothesen gearbeitet. „Ich hatte schon Gegenspieler“, erzählt Schmidl, „die sind innerhalb eines Jahres um zwanzig Zentimeter gewachsen.“ Dass das Doping-Thema in Australien so bestimmend gewesen sei, habe letztlich aber mit diesem finalen Tabubruch zu tun, „da haben wohl einige unverbesserliche Nostalgiker immer noch geglaubt, Behinderte seien die besseren Menschen, moralisch geläutert und fernab aller materiellen Segnungen.“
Was dem Behindertensport letztlich genauso schade wie der Betrug am eigenen Körper seien Vetternwirtschaft und Lobbyismus im Internationalen Paralympischen Komitee (IPC), glaubt der Volleyballer. Ausgerechnet die Funktionäre, die ihm nach dem Erfolg über Kanada die Goldmedaille umhängten, hatten wenige Stunden zuvor das etablierte Standvolleyball aus dem paralympischen Programm gekippt. Zu wenige Nationen pflegten diese Spielart des Behindertensports, so die offizielle Begründung vom grünen Tisch.
Bernard Schmidl, der einst dem Spiel mit dem Tischtennisball in der Bezirksliga Lebewohl sagte, um spät mit 21 Jahren seine Liebe zum Volleyball zu entdecken, sind Ränkespiele hinter verschlossenen Türen zuwider. Zwar gehöre so genannter „Trash-Talk“ mittlerweile auch unter den Aktiven zum guten Ton der modernen Matchführung, „aber du musst deinem Gegner immerhin noch in die Augen sehen, wenn du ihm klar machen willst, dass er ein Arschloch ist.“
Den härtesten Kampf führe er trotz allem gegen den eigenen Körper. Zurückgeworfen durch mehrere Knieoperationen, prägte er den deutschen Behinderten-Volleyball mit. Nur sein Entdecker und Nationalmannschaftskollege Manfred Kohl (40) läuft dem Ehrgeizling Schmidl im Medaillenspiegel den Rang ab. Der ehemalige Athletensprecher hat eine Olympiateilnahme mehr vorzuweisen, dazu den Weltmeistertitel. „Das schmerzt besonders“, räumt Schmidl ein. Einen Rücktritt vom Rücktritt werde es dennoch nicht geben. „Schade“, findet Bundestrainer Athanasios Papageorgiou, der den gelernten Angriffsspieler in den letzten Jahren auch aus dem Hinterfeld heraus operieren ließ. „Er antizipiert klasse, ist sehr beweglich, immer motiviert und gewissenhaft.“ Über 70 Prozent der Angriffe, haben Statistiker nachgerechnet, liefen über den Südhessen, und seit er bei der EM 1995 erstmals seinen gefürchteten einarmigen Block gegen den polnischen Schnellangriff einsetzte, war er auch in der Defensive eine Bank.
Bernard Schmidls Handicap ist eine Verkürzung des rechten Arms und der rechten Schulter. Er war vier, als sich der Anhänger von einem Traktor löste und ihn gegen eine Hauswand quetschte. Irgendwie, erzählt er, hätten die Ärzte „die Nervenstränge wieder ganz gut zusammengewurstelt“, weil das Gefühl später teilweise zurückgekommen ist in den Arm, der seit dem Unfall nicht mehr mitwachsen wollte und den er meist schützend an seinen Körper presst. Ob er auch ohne diese kleine Behinderung beim Volleyball hängen geblieben wäre, kann er nicht sagen, „vielleicht beim Fußball. Wie alle eben.“
Über Geschichten von damals redet er nicht gerne, das Ereignis an diesem Tag im Jahr 1971 purzelt so emotionslos aus seinem Mund wie die Erinnerung an einen verlorenen Satz beim Volleyball: abhaken und weiterspielen. Bloß kein Mitleid erwecken. Bernard Schmidl gehört auch bei seinem Heimatverein Auerbach zu den Leistungsträgern, als Behinderter unter Nichtbehinderten. Das schützt vor Zynismus und peinlichen Fragen. Auf beiden Seiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen