: Fanatismus im Knast
Gesamtinsassenvertretung in Tegel prangert „unwürdige Behandlung“ eines Gefangenen an. Justiz verteidigt Fixierung eines „fanatischen Vollzugsstörers“
Schwere Vorwürfe erhebt die Gesamtinsassenvertretung (GIV) der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel gegen die Anstaltsleitung. In einer Pressemitteilung schildert die GIV die „menschenunwürdige Behandlung“ eines Insassen: „Seit mehreren Wochen wird ein Gefangener wie ein Tier an einem Laufriemen festgekettet gehalten“, heißt es. Nach Angaben der GIV haben acht Insassen Strafanzeige gegen fünf Justizvollzugsbeamte gestellt, nachdem sie beobachtet hätten, dass der Gefangene „mit brutalster körperlicher Gewalt nach einer Arztvorführung in seine Zelle hineingeprügelt worden war“. Nach „Einschüchterungen“ blieben nur noch drei Zeugen, die nun „mit massiven Repressalien“ zu rechnen hätten.
Die Senatsverwaltung für Justiz bestätigte gestern, dass der Gefangene, ein 46-jähriger Somalier, seit Ende November auf einem im Betonboden eingelassenen Bett an Armen und Beinen mit Plastikbändern fixiert wird. Doch den Vorwurf der Unmenschlichkeit wies Justizsprecher Karsten Ziegler zurück. Begründet wird die Fixierung des Gefangenen, der wegen Betruges einsitzt, mit „unerträglicher Störung der Anstaltsruhe“. Seit dem 22. November 2000 habe der Gefangene „über Stunden und Tage gegen die hölzerne Tür seines Haftraumes getreten“, so dass er in einen besonders gesicherten Haftraum gebracht und dort „nach weiteren unerträglichen Ruhestörungen am Bett fixiert werden musste“. Weil probeweise Lockerungen immer wieder mit Ruhestörungen endeten, werde die Fixierung bis auf weiteres beibehalten. Bei dem Gefangenen handele es sich nach psychiatrischer Einschätzung, auch nach Begutachtung durch einen externen Psychiater, „um einen lediglich fanatischen Vollzugsstörer“, der bereits während zweier Vorinhaftierungen „vergleichbare Verhaltensweisen“ gezeigt habe. Weil keine psychische Erkrankung vorliege, komme eine Strafunterbrechung nicht in Betracht.
Nach Angaben von Ziegler hat die Anstaltsleitung von sich aus beim Landgericht um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gebeten, um Gerüchten des Vertuschens vorzubeugen. Weder die Polizei noch die Justiz konnten gestern den Eingang der Anzeige von Strafgefangenen gegen Justizvollzugsbeamte, die am Montag gestellt worden sein soll, bestätigen.
Während die Justizverwaltung von Beschwerden von Mitgefangenen über Ruhestörung und drohenden Arbeitsniederlegungen spricht, ist bei der Insassenvertretung keine Rede davon. Für die GIV stellt sich eine andere Frage: „Was kann von einem Menschen erwartet werden, der im Strafvollzug so einer Sonderbehandlung unterzogen wird, wenn er eines Tages seine Freiheitsstrafe verbüßt hat?“ Das Haftende des Gefangenen ist für August 2001 vorgesehen.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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