schnittplatz: InfanteristischerBegriffscocktail
Was wozu und für wen zur Waffe bzw. zur Gewalt wird, ist ein komplexes Problem.
Aus gegebenem Anlaß bürsteten die Profis von Bild ein Foto aus Trittins Göttinger Tagen so lange unscharf, bis sich ein Seil als Schlagstock und ein Handschuh als Bolzenschneider verkaufen ließ.
Bei den Anhörungen von Wehr- und Kriegsdienstverweigerern gehörte zu den Standardfragen jene nach der Pazifismusfestigkeit: „Und wie reagieren Sie, wenn Sie in einem dunklen Park sehen, dass jemand ihre eigene Schwester/Freundin tätlich angreift, wenn Sie a) ein Taschenmesser, b) einen Schlüsselbund oder c) nichts als Waffe taugliches griffbereit haben?“ Antworten, die auf physische Gegenmaßnahmen hinausliefen, bewiesen für die prüfenden Gewaltprofis ebensolche Bereitschaft.
Im Unterschied zu Bild, wo man Bilder „professionell“ fürs gemeine Volk zurechtmanipuliert, rüstet Jochen Bölsche im jüngsten Spiegel Begriffe amateurhaft für die Leute mit Abitur zu. Der Spätgeborene raspelt von „Frankfurter Brandbombenwürfen“, wenn er Molotowcocktails meint. Die Brandbomben flogen nicht 1967 und nicht 1976, sondern früher. Sie kamen aus der Luft und enthielten je nach Bauart Phosphor, Eisenoxid, Magnesium und andere Stoffe, die hohe Temperaturen erzeugen, wenn sie brennen. Die einzigen Brandbomben, die um 1968 herumflogen, bestanden aus Brandgelen – zum Beispiel Napalm – und trafen Vietnamesen.
Nachdem Bölsche derart seinen Sachverstand bewiesen hat, nennt er Molotowcocktails ein paar Zeilen weiter „Benzinbomben“. Zu einem ordentlichen Molotowcocktail gehört zwar auch Benzin (neben Öl, einem benzingetränkten Lappen, einer leeren Weinflasche und Streichhölzern), aber zur Bombe wird der Cocktail nicht einmal, wenn man ihn unfachmännisch füllt oder wie eine Handgranate über die Schulter statt aus Hüfte und Unterarm heraus wirft. Der schweizerischen Milizarmee sind zwar die Feinde abhanden gekommen, aber derlei übt man immer noch – infanteristisches Basiswissen. Die Schweizer haben noch Kapazitäten frei für einen Fernkurs.RUDOLF WALTHER
Rudolf Walther ist pazifistischer Schweizer mit dazugehöriger Milizerfahrung
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen