die anderen:
Über das Urteil im Lockerbie-Prozess schreibt die italienische La Stampa: Als das Verfahren am 3. Mai 2000 begann, wurde es der „Prozess des Jahrhunderts“ genannt. Er sollte nicht nur einen abscheulichen Massenmord klären, sondern auch die mögliche Verantwortung Libyens für den Terrorismus und die Zweckmäßigkeit von UN-Sanktionen auf Antrag der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Das doppeldeutige Urteil erfährt jetzt auch zwei entgegengesetzte Bewertungen. Für Libyen ist es der Beweis, dass Tripolis das Urteil anerkennt und die Sache in den Händen der Justiz liegt, dass jedes „politische“ Embargo aufgehoben werden muss. Für Washington und London ist es ein Beleg für eine „Verwicklung“, die dazu führen müsse, die Sanktionen gegen Tripolis aufrechtzuerhalten.
Die polnische Gazeta Wyborcza meint dazu: Die Lektionen und Ergebnisse des Urteils vom Mittwoch reichen weiter als nach Libyen oder Schottland – sie markieren eine neue Etappe sowohl im internationalen Recht wie auch im supranationalen Standard der Gerechtigkeit. (...) Ehe der Große Internationale Strafgerichtshof zu funktionieren beginnt, soll das Urteil von Kamp Zeist auch für diejenigen ein Memento sein, die in Chile einen Prozess gegen Pinochet verhinderten und wie der jugo-slawische Präsident Koštunica meinen, dass man Milošević vor der Strafe dafür schützen muss, was er den Nachbarn Serbiens angetan hat.
Dagegen kommentiert The Indipendent in Großbritannien: Ob man es nun mag oder nicht, das Ergebnis des Prozesses vermittelt das Gefühl, dass das Urteil auch leicht politisch motiviert war. Auf der Basis des Beweismaterials hatten viele Experten ein schottisches „Im Zweifel für den Angeklagten“ erwartet – aber das wäre für die Hinterbliebenen der Opfer ein kaum zu verkraftender Schlag gewesen. Sie haben zwölf Jahre darauf gewartet, wenigstens auf einige ihrer Fragen Antworten zu bekommen. Doch die volle Wahrheit über Lockerbie muss erst noch herausgefunden werden.
In den Niederlanden schlussfolgert daraus de Volkskrant: Jetzt liegt es am Westen, die politischen Konsequenzen des Lockerbie-Urteils zu erwägen . . . Die USA und ihre Verbündeten stehen deshalb vor der Frage, was mit den Sanktionen der Vereinten Nationen geschehen soll, die wegen des Anschlags verhängt worden waren und die nach der Auslieferung der zwei Verdächtigen ausgesetzt wurden. Aufhebung der Sanktionen wäre das falsche Signal, sowohl für die Angehörigen der Opfer als auch für Libyen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen