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■ H.G. HolleinFarbenspiele

Die Frau, mit der ich lebe, hat die Sprache verloren. Kurzfristig. Was musste sie sich auch hinsetzen und bei geschlossenem Fens-ter vier Stunden lang unser gutes altes, blauschimmerndes Bett weiß lackieren? Die Farbdämpfe waren eben ein bisschen zu viel für die zigarrettengestressten Stimmbänder der Gefährtin. Angefangen hat das Ganze mit dem Wunsch, die angegilbten Wände um unsere connubiale Liegestatt herum ein wenig aufzufrischen. So zog ich los und ließ beim Baumarkt eine pfiffige Farbe anmischen. Irgendwie muss ich dabei auf das falsche Muster getippt haben. Als ich anhub, den Pinsel zu schwingen, erschien jedenfalls ein grell-pastelliger Minzton. Da hatte die Gefährtin ihre Stimme noch, und sie machte auch von ihr Gebrauch. So zog ich also wieder los und kehrte mit dem deckends-ten Weiß zurück, das ich finden konnte. Nach Auftrag desselben war die Gefährtin einigermaßen befriedet, befand nun aber, dass der Kontrast zwischen der Wand und dem verwitterten Elfenbein der Fensterrahmen ein unerträglicher geworden sei. Und so zog ich erneut los, um unter den mittlerweile leicht spöttischen Blicken des Baumarktpersonals eine Dose weißen Lackes zu erwerben. Nachdem das Fenster, die Fußleisten und die Tür Ton in Ton mit den Wänden in blütenweißem Seidenglanz strahlten, kamen der Gefährtin ästhetische Bedenken. Das blaue Bett war nun auf einmal sehr blau. So zog ich ein viertes Mal los, um noch ein bisschen Lack und einen neuen Satz Pinsel und Rollen heimzutragen. Damit ging die Gefährtin dann ans Werk. Als ich von der Arbeit zurücckehrte fand ich ein Zimmer vor, das – weiß vor weiß neben weiß – vage an eine klinisch-kühle Installation erinnerte. Und mittendrin saß – wenn auch vorübergehend stumm – die Gefährtin, die mir einen Zettel entgegenhielt, auf dem nur ein Wort stand: „Teppichboden“. Der war in der Tat noch schwarz geblieben. Und – Gefährtin hin oder her – das bleibt er auch.

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