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Weiße Zettel kosten Barak den Sieg

Bei den Wahlen zum neuen israelischen Ministerpräsidenten am kommenden Dienstag zeichnet sich eine hohe Enthaltung ab. Das Verhalten der russischen Einwanderer wird entscheidend sein, und die stimmen in der Regel für die jeweilige Opposition

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Wer nicht weiß, dass am Dienstag Wahlen stattfinden, würde kaum darauf kommen. Israels Straßen sind abgesehen von einigen wenigen Hauptverkehrskreuzungen frei von jeglichem Propagandamaterial. Hier und dort findet sich eine Gruppe Jugendlicher, die an Ampeln stehend Autoaufkleber verteilen, was aber auch in Nicht-Wahlzeiten vorkommt. Einzig der Inhalt ist leicht unterschiedlich. Anstelle von „Ich bin für den Golan“ oder „Zwei Staaten für zwei Völker“ sind in diesen Tagen die Köpfe der beiden Kandidaten auf den Aufklebern abgebildet. „Scharon bringt den Frieden“, so verspricht der Likud, und mit „Verzichtet nicht auf die Zukunft“ wirbt die Arbeitspartei für Ehud Barak. Vom üblichen Wahlfieber keine Spur.

Die bevorstehenden Wahlen in Israel sind untypisch. Zum ersten Mal wird nur der Ministerpräsident gewählt. Ohne den Wettkampf der Parteien fällt für zahlreiche Wähler ein entscheidenes Moment weg. Die Araber, die Russen und die religiös-orientalischen Juden wählten in den vergangenen Jahren mit überragener Mehrheit sektorial. Jede Gruppe hat ihre eigene Partei. Sehr viele von ihnen, sagen die Prognosen, werde sich kaum aufraffen, in der kommenden Woche an die Urne gehen.

Dazu kommt der Protest der israelischen Araber, die mit dem Boykott der Wahlen ihren Unmut über die Politik Ehud Baraks zum Ausdruck bringen, weil er Anfang Oktober seine Polizisten in den Kampf gegen die eigenen Staatsbürger schickte, wobei 13 Menschen zu Tode kamen. Umfrageexperten halten eine Wahlbeteiligung ingesamt von nur rund 50 Prozent für möglich. In einem Land mit traditionell hoher Wahlbeteiligung wäre das eine klare Absage an das System.

Die religiös-orientalischen Anhänger der Schass werden, sofern sie an den Wahlen teilnehmen, mehrheitlich ihre Stimme Scharon geben. Schass-Mentor Ovadia Jossef sagte vor kurzem offiziell dem Likud-Kandidaten seine Unterstützung zu.

Die Araber werden, den Umfragen zufolge, mindestens zur Hälfte die Wahlen boykottieren. 20 Prozent sind noch unentschlossen. Der Rest wird für Barak stimmen. Bei den letzten Wahlen konnte Barak 95,8 Prozent der arabischen Stimmen für sich verbuchen. Der Boykott der israelischen Araber bedeutet für ihn jetzt den entscheidenen Einbruch. Außerdem sind es nicht nur die Araber, die einen „leeren Stimmzettel“ ankündigen, sondern auch zahlreiche Personen im jüdischen Friedenslager. „Wir haben keinen Grund, Barak zu lieben“, räumt die Meretz-Politikerin Naomi Chasan Verständnis für ihre Anhänger ein, aber: „Wir haben allen Grund, Scharon zu fürchten.“ Wie vor zwei Jahren führt die Meretz einen lebhaften Wahlkampf für Ehud Barak.

Beide Kandidaten buhlen um die Sympathie der mit fast einem Fünftel aller Stimmberechtigten größten Wählergruppe, die Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion. Scharon spricht in einem seiner TV-Werbespots sogar Russisch. In den vergangenen zehn Jahren waren sie zweimal ausschlaggebend: 1992 brachten sie den Kandidaten der Arbeitspartei Jizhak Rabin an die Macht, und 1996 den konservativen Benjamin Netanjahu. 1999 stimmten sie zwar auch mehrheitlich für Barak, waren aber damals – angesichts seines großen Vorsprungs vor Benjamin Netanjahu – nicht ausschlaggebend. Die Russen wählten bislang stets gegen die Regierung. „Die Russen sind der Auffassung, dass ein starker Führer den Wohlstand bringt“, resümiert Meinungsforscher Chanoch Smidt seine Untersuchungsergebnisse und: „Sie sind gegen territoriale Kompromisse mit den Arabern.“

Ariel Scharon wird die Wahlen gewinnen. Darin sind sich alle Prognosen einig. Die Umfragen indizierten über Wochen einen Vorsprung von 18 Prozent vor Barak. Diese Kluft vertiefte sich in den vergangenen Tagen. Bei den Wahlen geht es um nur ein Thema: Sicherheit. Beide Kandidaten sind zwar ehemalige Militärs, und Barak kann, wenn er in Uniform aufträte, weit mehr Orden aufweisen als sein politischer Kontrahent. Dennoch genießt Scharon viel eher das Image des Mannes, der mit harter Hand gegen die Araber vorgeht.

Scharon wird – ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung im Ausland – alles tun, um dem Terror und den Unruhen ein Ende zu bereiten. „Die Al-Aksa-Intifada war mit Blick auf die innerisraelischen Zustände kontraproduktiv, denn sie schwächte die israelische Linke“, erklärt Chanoch Smidt. Außerdem glaubten die Leute, dass „Scharon einen besseren Frieden macht, und die meisten finden ihn gar nicht so schlimm“.

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