: Wenn das Franz Josef wüßte
Wilfried Scharnagl, Chefredakteur des legendären „Bayernkuriers“, wirft endgültig das Handtuch. Der letzte aktive Freund von Franz Josef Strauß verlässt die Medienszene
NÜRNBERG taz ■ Als wären die letzten Wochen mit all den Skandalen und Ministerwechselspielen für die CSU nicht schon hart genug gewesen. Jetzt auch noch das: Mit Wilfried Scharnagl verlässt der Kapitän das Flaggschiff der Partei, den Bayernkurier.
24 Jahre lang war der 62-Jährige der Chefredakteur des Parteiorgans. Ein Vierteljahrhundert lang meldete sich der gebürtige Egerländer mit bissigen, absolut linientreuen Kommentaren zu Wort, in denen er die Welt messerscharf in gut und böse und damit in CSU-Freund und politischen Feind aufteilte. Eine Generation lang füllte er die Spalten mit dem Abdruck schier endloser Reden, mit denen die CSU-Führung auf Parteitagen oder am traditionellen Aschermittwoch in Passau das Parteivolk gelangweilt hatte.
Platz war ja genug, denn Anzeigen hatte das Wochenblatt kaum, und ob es den Lesern gefiel, war egal, denn der Bayernkurier flatterte den 190.000 CSU-Mitgliedern kostenlos und ungefragt ins Haus. Das ließ sich die Partei zuletzt rund 5 Millionen Mark im Jahr kosten.
Wahrscheinlich wäre das endlos so weitergegangen, wenn die CSU mit ihrem aufgeblähtem Parteiapparat und ihren sündhaft teuren flächendeckenden Kampagnen nicht weit über ihre Verhältnisse gelebt hätte.
Auf rund 30 Millionen Mark beliefen sich ihre Schulden Ende der Neunzigerjahre. Selbst der Verkauf von über 100 parteieigenen Mietwohnungen und die Erhöhung der Mitgliedsbeiträge brachte die Partei nicht in die schwarzen Zahlen. Also ging es dem Bayernkurier ans Leder und damit Wilfried Scharnagl an den Schreibtischstuhl.
Als er 1977 als Chef beim Bayernkurier anfing, hatte die CSU noch 62 Prozent im Land, und ihr Großer Vorsitzender hieß Franz Josef Strauß. 1950 der erste Chefredakteur des Bayernkuriers, holte er sich mit Scharnagl einen treuen Vasallen an die Spitze des Parteiorgans. Scharnagl schrieb sich fortan für Strauß die Finger wund, und der belohnte ihn auf seine Weise: Er machte ihn zu seinem Vertrauten. „Scharnagl schreibt, was ich denke, und ich denke, was Scharnagl schreibt“, beschrieb FJS diese politische Zweierbeziehung.
Scharnagl herrschte wie ein Autokrat, duldete keinen Widerspruch und wurde zu einem der einflussreichsten Männer in der CSU. Nach dem Tod von Strauß ging es mit dem Bayernkurier und somit auch mit Scharnagl bergab.
Der Einfluss des Mannes, der sich stets als Nachnachverwalter des Großen Vorsitzenden verstanden hatte, schwand zusehends. Das chronische Defizit des Blattes tat dann sein Übriges. Die CSU holte schließlich im Herbst vorigen Jahres mit der Leadermedia Deutschland eine Tochtergesellschaft der Frankfurter Allgmeinen Zeitung ins Boot. Damit will die Partei die jährlich nötigen Zuschüsse auf etwa 2,25 Millionen Mark halbieren.
Seit November erschien die Postille in neuer Aufmachung und mit aufgepepptem Layout. Grund genug für Scharnagl, „aus persönlichen Gründen“ das Weite zu suchen. Er sucht jetzt nach „neuen Aufgaben“, bleibt aber, so betont CSU-Chef Edmund Stoiber, dem Bayernkurier und der Partei mit „Rat und Tat“ erhalten.
BERND SIEGLER
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