Ein Geheimlabor müsste man haben

Seine Schau im Museum of Modern Art 1976 machte erst Skandal und dann Geschichte. Mit William Eggleston hielt die Farbfotografie Einzug in die heiligen Hallen der Moderne. Nun zeigt das Museum Ludwig seine Anfang der 70er-Jahre entstandene, bisher unveröffentlichte „Los Alamos“-Serie

von BRIGITTE WERNEBURG

Die satten Farben fallen am meisten auf, flaniert man im Museum Ludwig zum ersten Mal an den 81 Abzügen von William Egglestons „Los Alamos“-Serie entlang. Erinnert man sich der gegenwärtig so beliebten blassen, leicht überbelichteten Töne in der Farbfotografie, meint man, Eggleston sei noch immer der Einzige, der keine Angst vor der Farbe und der ihr von Walker Evans attestierten Vulgarität habe. Doch dieser Begriff ist nun mit dem schmalen, dunkelhaarigen Mann, der wenig später bei der Pressekonferenz ausgesucht höflich und leise Auskunft über seine Arbeit gibt, gar nicht in Verbindung zu bringen. Eher drängt sich bei seinem Erscheinen wie unter dem Eindruck der Bilder der Begriff des desperate Southern Gentleman auf, der den 1939 in Memphis/Tennessee als Sohn eines Baumwollfarmers geborenen Künstler vielleicht am besten beschreibt.

Als „rattiger, schwuler Werbefuzzi“ jedenfalls wurde er anlässlich seiner ersten Einzelausstellung im Museum of Modern Art 1976 geschmäht, wie Kaspar König, Direktor des Museum Ludwig, berichtete. Die Ausstellung, die die New York Times als die „meistgehasste Schau“ des Jahres bezeichnete, hat Geschichte gemacht. Denn mit „William Eggleston's Guide“ hielt erstmals ein ausschließlich farbfotografisches Werk Einzug in die heiligen Hallen des Modernismus.

Die Schau war eine einzige Blasphemie. Lästerlich war nicht nur die von Eggleston schon Mitte der 60er-Jahre getroffene Absage an die Schwarzweißfotografie, die den Kunstdiskurs beherrschte. Sündhaft war darüber hinaus die Wahl seiner Bildmotive, die banal, alltäglich und unwichtig erschienen. Die damaligen Betrachter waren sich nicht sicher, ob sie nun Amateuraufnahmen als Kunst bewundern sollten, nur weil die Familie auf den Bildern fehlte, die bei Farbe unwillkürlich erwartet wurde. Denn noch in den 70er-Jahren hieß Kodakcolor eben Urlaubsbilder und Schnappschüsse von Familienfeiern und Freunden.

William Eggleston schien diese sentimentalen Motive bildfüllend gegen triviale Ketchupflaschen, Männer am Flipperautomaten und monumentale Werbeschriften ausgetauscht zu haben. Natürlich war Farbe auch in Zeitschriften und Werbung allgegenwärtig; und ähnlich Jeff Walls Übernahme des Leuchtkastens aus der Werbung ein gutes Jahrzehnt später hatte Eggleston für seine Abzüge das Dye-Transfer-Verfahren aus dem Bereich der Werbung übernommen. In den 50er- und 60er-Jahren war das teure, aufwändige Umdruckverfahren dort sehr beliebt, weil jeder einzelnen Farbe gezielt eine enorme Intensität verliehen werden konnte.

So neu und geradezu schockierend frisch nun die „Los Alamos“-Serie in Köln wirkt und – da sie noch nie veröffentlicht wurde – es in gewisser Weise auch ist: Die Negative sind vor fast 40 Jahren entstanden. Schätzungsweise 2.200 Fotografien hat William Eggleston in den Jahren 1966 bis 1974 aufgenommen, um sie unter dem Titel „Los Alamos“ in einer Reihe von 20 gebundenen Büchern zu veröffentlichen, wozu es freilich nie kam.

Ein Großteil der Bilder entstand auf Reisen, die Eggleston und Walter Hopps, damals Kurator an der Corcoran Gallery in Washington, D. C., unternahmen. Unter anderem führten sie auch nach Los Angeles, wo sie Hopps’ alten Freund, den Schauspieler Dennis Hopper, besuchten. Auf einer der Fahrten machte Hopps Eggleston auf die Los-Alamos-Laboratorien aufmerksam und erzählte ihm, dass es sich bei ihnen ursprünglich um eine Reformschule gehandelt habe, die William Burroughs besuchte. Eggleston, so Hopps, hatte keine Ahnung, was Los Alamos bedeutete, und als er ihm sagte, dass es sich um das Geheimlabor handle, in dem die Atombombe entwickelt wurde, meinte Egglestone: „Weißt du, ich hätte gerne selbst so ein Geheimlabor.“

Sein Wunsch scheint sich gewissermaßen erfüllt zu haben. Erst jetzt wird „Los Alamos“, sein Forschungsunternehmen in Sachen Alltagskultur des amerikanischen Südens und Südwestens, dem Status der geheimen Kommandosache entzogen. Auf Initiative des Museum Ludwig, vertreten durch Thomas Weski, den Kurator für Fotografie, hat Egglestons alter Verleger Caldecot Chubb, der schon sechs Bücher und Portfolios des Fotografen herausgab, erstmals 81 Abzüge mit dem inzwischen völlig außer Gebrauch gekommenen Dye-Transfer-Verfahren hergestellt.

Damit verbunden war ein Ankauf der Serie, die einzig das Museum Ludwig im deutschsprachigen Raum besitzen wird. Vielleicht hätte es bei dem keineswegs übertriebenen Preis von 400.000 Dollar für den Ankauf bei der Rahmung doch noch für Glas statt Plexi gereicht? Denn sind schon die unvermeidlichen Spiegelungen an sich ein Problem, dann sind es erst recht verzerrte Spiegelungen.

Egglestons Bilder leiden besonders darunter. Denn obwohl er einen relativ engen Ausschnitt wählt, zeigt er gerne viel leere Fläche, und gerade das Bildzentrum ist häufig genug die Leerstelle, um die sich die Bildgegenstände organisieren. Der enge Ausschnitt verhindert Tiefenschärfe und daher scheint in seinen Fotografien geradezu malerisch Farbfläche über Farbfläche gelagert zu sein, etwa wenn der tiefblaue Himmel auf einem weißen Autodach zu liegen kommt, unter dem die knallroten Ledersitze ein weiteres Farbband bilden, das wiederum auf dem Blau der Chassislackierung aufsitzt.

Das im amerikanischen Alltag schon früh allgegenwärtige Auto beherrscht zweifellos „Los Alamos“, und ein Leitmotiv der Serie ist denn auch die Autofahrt. Allein die Tatsache, dass zwei Drittel der gezeigten Fotografien Querformate sind, erinnert daran, dass das Querformat eben die Form der Windschutzscheibe ist, durch die wir inzwischen einen Großteil unserer Welt sehen. Trotzdem ist Egglestons Perspektive keine frontale. Eher ist der seitliche, schräge Blick aus dem fahrenden Auto heraus die Perspektive Egglestons. Flüchtig, melancholisch, in ihrer Beweglichkeit aber ungeheuer interessiert, wach und daher paradox genug, genau auf den Punkt gebracht.

Bis 9. Juni, Katalog (Scalo Verlag) 40 €