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Die Welt als Fliese und Vorstellung

Sammeln, ordnen, katalogisieren – und dann alles abstoßen: Der Künstler Michael Weisser hat einen rasanten Lebensrhythmus und Fans im Südpazifik

aus Bremen Benno Schirrmeister

Das Kapitel Fliesen ist endgültig abgeschlossen. Ein bisschen Trennungsschmerz muss es aber wohl doch gegeben haben. Jedenfalls liegt der Verkauf der letzten beiden Kacheln kaum einen Monat zurück – obwohl Michael Weisser die Sammlung doch schon lange aufgelöst hatte. Was in der einschlägigen Szene seinerzeit Empörung auslöste, bis hin zu Anrufen mit bedrohlichem Unterton: ‚aber Herr Weisser – ist das denn alles nichts mehr wert?‘

Das nun nicht gerade. Nur es war alles erfasst und geordnet– Auftrag ausgeführt. „Jugendstil-fliesen“ heißt das Buch, längst vergriffen und selbst antiquarisch verflixt selten. Und teuer! 400 Euro Minimum, unentbehrlich allerdings wegen des „Katalogs der Ursprungsstempel“. Ein kunsthistorisches Standardwerk, genau wie die später verfassten Bildbände, etwa jener zum Zeitschriften-Layout um 1900. Doch das ist alles, wie gesagt, Schnee von gestern; bloße Zwischenstationen auf dem Weg zurück zur bildenden Kunst, den der 1964 in Cuxhaven geboreneWeisser im Laufe der 90er Jahre gefunden hat. Zwischenstationen, genau wie die drei Science-Fiction-Romane – bei Suhrkamp erschienen? Na immerhin! – oder das Plattenlabel.

Der Text müsste ganz anders beginnen: Der Wahl-Bremer Michael Weisser, das wäre der bessere Anfang, ist der erste europäische Künstler, dem das Museo Antrópologico der Osterinseln eine Ausstellung widmet: „Rapanui – das Auge, das gegen den Himmel schaut“, heißt sie, Eröffnung war am 3. Oktober: Digitale Fotografien von den berühmten riesigen Steinfiguren, alle gepresst in die Form eines gleichseitigen Rechtecks. Durch einen special-effect wirken dessen Ränder wie abgerundet, als wäre es eine Bildplatte. Fast wie die Taste eines Computerkeyboards. Oder eineFliese.

Ein fröhlich rundes Schnurrbartgesicht. Die Brillengläser sind getönt: Klug blitzen die deutlich vergrößerten Augen,während Michael Weisser erzählt, geschwind, mit recht hoher Stimme, leicht gepresst. „Und zur Zeit“, sagt Weisser, kleingewachsen ist er, und hüpft – woher nur dieser Gedanke jetzt an einen Gummiball? – aus dem Drehstuhl, hinüber zur breiten Ablage, wo die Entwürfe mehr oder minder ordentlich gestapelt unter einer übervollen Zettelwand liegen, „zur Zeit also dieses große Bremen-Projekt.“

Stopp. Das geht zu schnell: Schließlich ist es relativ spät schon am Abend. Nur das Blassblau des Computerbildschirms und eine Leselampe erhellen das Büro im Souterrain. Und es ist ja doch eine ganze Menge zu verarbeiten, selbst dann noch, wenn man etwa die verjährten kulturpolitischen Aktivitäten im Rheinland aus der Vita streicht und beispielsweise die Erfindung der Wellness-Musik großzügig übergeht. Oder aber das Plattenlabel endgültig vergisst, das dann, irgendwann, auch wieder verkauft wurde: An der Pinnwand hängt, ausgestellt vom scheidenden Geschäftsführer Michael Weisser, ein Scheck über eine Million Deutsche Mark, zu Lasten der IC-Digit-Musik GmbH. Ein ironisches Andenken, das dem Ex-Kompagnon und Nachfolger kalten Schweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte.

Ordnen, formen – und dann: alles wieder weg. Ein interessanter Lebensrhythmus. Und welch ein Tempo! Bewundernswert. Aber auch problematisch: Schließlich war Old Europe immer gewohnt, den Wert von Kunst in Ewigkeiten zu bemessen. Bei Heidegger wird die „Verlässlichkeit“ zur ästhetischen Kategorie. Gut, Weisser zählt den kühleren Niklas Luhmann zu seinen Lehrern. Aber auch die Systemtheorie löst den scheinbaren Widerspruch zwischen Kunst und Geschwindigkeit nicht auf. Zu viele Projekte, das ist suspekt – und tödlich der Hansdampf-Verdacht.

„Untersuchungen“, so hat die Kunsthistorikerin Katerina Vatsella Arbeiten Michael Weissers genannt. Und als „Feldforschungen“, hat Francisco Torres-Hoch-stetter sie bezeichnet, just am vergangenen Donnerstag bei der Vernissage im Südpazifik. Eine Kunst, die nur die Oberfläche der Dinge touchiert, hätte der Museumsdirektor auch bei einer Eröffnungsansprache wohl anders vorgestellt. Mit seinen Digital-Fotografien erfasse der Künstler „Atmosphären, Orte und Architekturen im Detail“, so Torres-Hochstetter weiter. Die Einzelaufnahmen wiederum seien keine isolierten Statements: Stattdessen verbinden sie sich, in „quadratmetergroßen Bild-Feldern arrangiert“, zu einer Art Meta-Bild, gemalt mit Fotografien. Kunst so verstanden ist keine Abbildung, sondern Erkenntnis von Welt. Ihr Motor: Eine unbezähmbare Neugier. „Und zur Zeit“, sagt Weisser und holt ein Skript aus der breiten Ablage hervor, „zur Zeit also dieses große Bremen-Projekt.“

Das Tagespensum muss enorm sein: Dass er um 6 Uhr früh aufstehe, ist von Weisser zu erfahren. Als erstes ein heißes Bad, gewürzt mit ätherischen Ölen, „und dann lasse ich die Möglichkeiten auf mich zutreiben.“ Wie Bojen müsse man sich die vorstellen. Es komme nur darauf an, alles zuzulassen. Dann sei auch Antizipation möglich.

Antizi- was? Jetzt hebt er ab: Die Idee fürs Laptop sei ihm so lange vor der Zeit zugeflossen, ebenso prämaturiert wie die des MP3-Streamers und, ebenfalls Anfang der 80er, die für ein Funktelefon, winzig und vollgestopft mit Funktionen, ganz schon das Handy von heute. Die kontaktierten Firmen hätten aber abgewinkt. So gern täte man es ihnen nach: Vorwegnahme. So etwas gibt’s doch nicht.Und dann ergibt die Recherche, ja doch, alles richtig, die Firmenkontakte haben stattgefunden. Ja, die Erfindung wurde abgelehnt. Verdrießlich fürs Unternehmen.

Interessant wäre es, die Wassertemperatur zu erfragen, die für das Bremen-Projekt verantwortlich war. Denn riskanter geht’s kaum: Wenn’s New York wäre, oder eben die Osterinseln. Bremen hingegen, mittelgroß, mittelbekannt, sehr hübsch, aber im Grunde doch sehr normal? Und trotzdem dieses Langzeitvorhaben: „Ich dokumentiere nicht“, sagt Weisser und wird energisch. Und beweist’s mit fertigen Sequenzen, von „Megaklischees wie dem Roland zum Beispiel“. Oder von neuralgischen Punkten: Im Kessler Block, einer auf fatale Weise wahr gewordenen 70er-Jahre Wohn-Vision in urbaner Randlage, die bereits für den Abriss im kommenden Jahr präpariert ist, hat er gerade Nasszellen fotografiert. „Es geht darum, die Quintessenz dieser Räume herauszudestillieren.“ Dafür wird jeweils ein riesiges Bilderkonvolut per Rechner analysiert, ungewöhnliche Perspektiven, Details, Fragmente – und das alles bringt der Computer auf identische Formen: Quadrate, immer wieder Quadrate, natürlich mit abgerundetem Rand.

Es hilft alles nichts. Aha, eine Lokalgröße!, wird man anderswo sagen. Es sei denn, Weisser gelingt die große Synthese: Von einer alles umfassenden Architektur träume er manchmal. Alle Module komponiert in einer einzigen Installation, aus rauschenden Bildfeld-Wänden, aus ornamentalen Bildfeld-Böden, gefliest mit quadratischen Fotos: Eine Welt möglicher Bildwelten. In deren Mitte gehört aber, wenn uns nicht alles täuscht, ein Ready-made: Groß muss es sein, lackiert mit Emaille. Und das Wasser drinnen muss stets dampfen.

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