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Panik vor 20 Prozent Rentenbeiträgen

Die Regierung sucht nach Wegen, die Rentenbeiträge stabil zu halten: Reserven schrumpfen? Rentner kränken?

BERLIN taz ■ Nächste Woche wird es unangenehm für die Regierung: Die vierteljährliche Rentenschätzung steht an. Sie dürfte noch desaströser ausfallen als die Expertise vom Juli. Damals nahmen die Schätzer an, dass der Rentenbeitrag ab 2004 von aktuell 19,5 auf 19,9 Prozent steigen muss. Damals gingen sie aber davon aus, dass das Wachstum in diesem Jahr durchschnittlich bei 0,7 Prozent liegt. Real dürfte die Konjunktur bei einer Null dümpeln. Die nächste Schätzung könnte daher ergeben, dass der Rentenbeitrag auf über zwanzig Prozent steigen müsste.

Entsprechend hektisch sucht die Regierung daher nach Alternativen, um den Beitragssatz bei 19,5 Prozent zu stabilisieren. Drei Vorschläge kursieren:

– Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) will die „Schwankungsreserve“ reduzieren. Sie soll nicht mehr 50, sondern nur noch 30 Prozent der monatlichen Rentenausgaben betragen. Die Rücklagen der Rentenversicherung würden von sieben Milliarden auf etwas mehr als vier Milliarden Euro schrumpfen. Technisch ist dies mühelos umzusetzen: Nur 1,6 Milliarden Euro sind in Immobilien angelegt, der Rest ist auf Konten mit kurzer Laufzeit geparkt.

Allerdings verliert die Schwankungsreserve damit ihren Sinn; sie soll das saisonal unterschiedliche Beitragsaufkommen ausgleichen. So sind Ende Oktober die Konten der Rentenversicherer meist leergefegt; das wird erst im November besser, wenn das Weihnachtsgeld fließt. Finanzminister Hans Eichel (ebenalls SPD) wehrt sich daher gegen die Pläne der Kollegin Schmidt; denn wenn die Schwankungsreserve fehlt, muss der Bundeshaushalt zuschießen, sobald die Rentenversicherer ins Minus rutschen.

Da auch die aktuelle Schwankungsreserve von einer halben Monatsausgabe nicht ausreichen dürfte, um die diesjährigen Rentendefizite zu decken, will Eichel die Rücklagen wieder aufstocken. Damit dürfte er sich jedoch nicht durchsetzen. Schließlich war es ausgerechnet das rot-grüne Kabinett, das die Schwankungsreserve so drastisch geschrumpft hat. Unter der Regierung Kohl deckte sie jahrzehntelang die Rentenausgaben eines Monats ab.

– Rot-Grün erwägt, die Rentenanpassung um ein halbes Jahr auf den 1. Januar 2005 zu verschieben. Auch dieses Instrument wurde bereits angewandt: 1978 und 1983. Dass der Trick nicht beliebter ist, hat gute Gründe. Er sorgt für politische Unruhe, ist aber finanziell unergiebig: Die Verschiebung schlägt sich nur mit 0,1 Prozentpunkten bei den Beiträgen nieder.

– Eichel fordert, dass sich die Rentner noch stärker an ihren Sozialversicherungen beteiligen. Denn der Finanzminister will den Bundeszuschuss im nächsten Jahr um zwei Milliarden Euro kürzen, der 2002 nicht ganz 62 Milliarden Euro betrug. Das entsprach fast einem Drittel der Rentenausgaben, die im vergangenen Jahr bei ungefähr 190 Milliarden lagen.

Mit der Realität des laufenden Jahres wird sich die Regierung nächste Woche befassen. Direkt nach der Rentenschätzung ist für den 18. und 19. Oktober ein „Rentengipfel“ im Kanzleramt angesetzt. Und wie immer, wenn es sachlich kompliziert wird, ist die einfache Personalfrage schon gestellt: Wer wird als Gewinner herauskommen, Eichel oder Schmidt? ULRIKE HERRMANN

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