: Die sechs offiziellen Ausländer
Diese sechs sollen möglichst allen Migranten Berlins eine Stimme geben. Knapp 100 Vereine haben nach monatelangem Hickhack entschieden, welche VertreterInnen im Integrationsbeirat sitzen. Die Wahl gestaltete sich chaotisch, obwohl ein Bündnis von Migrantenvereinen vorab alles festgelegt hatte
von JEANNETTE GODDAR
Es ist vollbracht: Knapp hundert Vereine haben sich auf sechs Delegierte verständigt, die nun die Interessen der Migranten dieser Stadt vertreten sollen. Diesem Ergebnis ging ein monatelanges Hauen und Stechen voraus, und so war es mehr als erwartbar, dass sich auch die Wahl letzte Woche kompliziert gestaltete.
Die Vertreter der Migrantenorganisationen hatten sich in der Werkstatt der Kulturen getroffen, um ihre Gesandten für den vom Senat ins Leben gerufenen „Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen“ zu wählen. Was sich dort abspielte, war nicht nur für den Wahlleiter, den neuen Integrationsbeauftragten Günter Piening, ein sehenswertes Schauspiel in Sachen Vielfalt ausländischer Interessen – oder, böse gesagt, in Sachen Zerstrittenheit der Akteure.
Dass „die Ausländer“ ebenso wenig wie „die Deutschen“ „ihre“ Vertreter wählen können, weil sich gemeinsame Interessen in engen Grenzen halten, war dabei noch am wenigsten überraschend. Hinzu kommt aber, dass vor allem die türkische Vereinsszene, die sich auf einen gemeinsamen Vertreter für 130.000 Türken einigen sollte, ebenso verkracht wie mächtig ist.
So hätte fast schon der erste von zwölf Wahlgängen – es wurden je sechs Vertreter und Stellvertreter gewählt – ohne eine der drei KandidatInnen stattfinden müssen. Burhan Kesici, Vorsitzender der Islamischen Föderation, plädierte nämlich prompt dagegen, die Wahl der Türkei-Vertretung ein paar Minuten zu verschieben, um auf die Kurdin Talibe Süzen zu warten, die noch auf dem Weg vom Flughafen zu ihrer Kandidatur war. „Wir haben alle Termine und haben es trotzdem hierher geschafft“, nörgelte Kesici, konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Wahl wurde verschoben, bis die Kandidatin im Raum war.
Kesici wie all die anderen türkischen Vertreter, die sich eher dem Lager der konservativen Türkischen Gemeinde (TGB) als dem des liberalen Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB) zurechneten, fühlten sich ohnehin schon im Vorfeld hintergangen: Das Auswahlverfahren der Wahlberechtigten nähre den „Verdacht willkürlicher Filterung“, monierte Alpaslan Altu von der TGB. Zugelassen waren Vereine, die auf einer bei der Innenverwaltung geführten Liste stehen. Diese sei seit Jahren nicht aktualisiert worden.
Viel schwerer wiegt in den Augen der Kritiker aber, dass es dem in der Berliner Politik ohnehin einflussreichen Türkischen Bund schon Wochen im Voraus gelungen war, ein Bündnis aus 49 Vereinen zu knüpfen. Dieses hatte sich über den Sommer für jeden der sechs Sitze auf einen Kandidaten verständigt – und diese Unterstützung dann auch gleich auf der Wahlliste mit einem Sternchen kenntlich gemacht. Wer die Unterstützung des „Bündnisses der Migrantenvereine“ wollte, musste sich von vornherein auf ein paar Kriterien festlegen: „Durchsetzungs- und Repräsentationsfähigkeit“ stand auf der Anforderungsliste, aber auch „Ablehnung von jeglichem Nationalismus, Extremismus und Fanatismus“, „Vermeidung herkunftsbezogener Politik“ und „Offenheit gegenüber Menschen jeglicher sexueller Orientierung“. Mit dem Übergewicht von 49 Stimmen brachte das Bündnis am Ende jeden Vertreter durch (siehe Porträts).
Darüber, was der Beirat, der sich am 29. Oktober konstituiert, eigentlich tun soll, besteht noch weitgehend Unklarheit. Laut Definition soll er den Senat bei migrationspolitischen Themen beraten, eigene Empfehlungen erarbeiten und sich aktiv in die Diskussion einbringen. Weisungsbefugt ist er nicht, eine regelmäßige Anhörungspflicht des Senats besteht auch nicht.
Günter Piening gab sich dessen ungeachtet bei der Wahl kämpferisch: Der Einfluss des Beirats hänge ganz von der Stärke seiner Mitglieder und dem politischen Willen der Geschäftsführung ab, sagte Piening: „Und die Geschäftsführung habe ich.“ Der Bündnisgrüne hatte zwar die Planung von seiner Vorgängerin übernommen, machte aber bereits mehrfach deutlich, dass er das Gremium zu einem persönlichen Anliegen machen wolle. Und Profilierung hat er als Nachfolger der 21 Jahre lang enorm präsenten Barbara John wohl auch dringend nötig.
Die Eingewanderten waren am Wahlabend vorsichtig optimistisch. Sie sei „skeptisch, aber nicht ohne Hoffnung“, kommentierte die Russin Tatiana Forner, die jetzt im Beirat sitzt. Die Vietnamesin Thuy Nonnemann hoffte, dass es über die sechs Beiratsmitglieder künftig zumindest gelinge, die Kluft zwischen den Ethnien zu überwinden: „Die Berliner Ausländer organisieren sich viel zu stark nach ihrer Herkunft. Das bringt niemanden weiter und muss ein Ende haben.“
Riza Baran, langjähriger kurdischstämmiger Grünen-Abgeordneter in Berlin, äußerte sich – als einer von wenigen – kritisch: Bestenfalls eine „Hilfskonstruktion“ sei der Beirat, so Baran. „Ausländerbeiräte hatten noch nie etwas zu sagen. Was wir brauchen, ist das kommunale Wahlrecht für Ausländer, ob sie nun in der EU sind oder nicht.“
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