So wild, so grausam, so lustig

Weg von der Architektur, hin zu allem, was knallt: Isa Genzken bei Neuger Riemschneider

Es knallt im Empire, der Krieg ist zurück. Farbe tropft dick über geborstene Körper aus Gipsbinden und kleine Spielzeugsoldaten aus Plastik. Es gibt Supermänner, Cowboys, Indianer, Ritter und Roboter – kurzum alles, was die Spielzeugindustrie und Unterhaltungsmedien an Posen starker Männer im miniaturisierten Format zu bieten hat.

Sie kriechen aus aufgeplatzten Turnschuhen wie aus den Landungsbooten in der Normandie. Sie prügeln sich durch das zierliche Gebüsch, mit dem sonst das städtische Grün in Architekturmodellen dargestellt wird. Sie erobern den Rumpf einer umgekippten Büste. Oft kommen Tiere dazu, Giraffen und Krokodile, wie auf der Flucht aus dem Paradies. Die verwüstete Landschaft, mit roter, grüner und silberner Farbe besprüht, wird manchmal aus bemalten Steinen und versteinerten Broten gebildet. Die meisten dieser theatralischen Szenen werden von einem spiegelnden Prospekt eingefasst, einem Stück Dekofolie, das den comic-haften Schrecken vervielfältigt und in Stücke bricht.

„Empire vampire teil II“ heißen diese Collagen von Isa Genzken, die in diesem Frühjahr das erste Mal in der Kunsthalle Zürich ausgestellt waren. Wie in den Szenen eines Films, der zwischen den Genres Kriegsfilm, Comic, Dinosaurier-Film und Science-Fiction kolportiert ist, wimmelt es in diesem „empire“ von Wiedererkennungseffekten. Das ist nicht neu für Isa Genzken. Außergewöhnlich allerdings sind für die eher als Minimalistin bekannte Bildhauerin die Felder und Kontexte, auf die sie sich in diesen Skulpturen bezieht.

Denn bisher war es vor allem die Erbschaft der Moderne in Architektur und Design, der Konstruktivismus und die Bauhaus-Tradition, auf die sie in ihren Werken reagierte. In „empire vampire“ aber verschiebt sich ihr Blick auf ein anderes Segment des öffentlichen Raumes: die Welt der Plakate und Massenmedien, des Kinos und der virtuellen Welten, der Comics und der Graffiti. Wahrscheinlich spielt es eine Rolle, dass sie den 11. September 2001 in New York erlebt hat; wichtiger aber scheint, wie sich damit ihre Definition des „öffentliches Raumes“ von den Oberflächen der Architektur zu den Oberflächen einer Vielfalt von Medien weitet.

So kommt es, dass die 55-jährige Bildhauerin plötzlich so wild, so grausam, so trashig und so lustig mit Readymades und Versatzstücken des Marktes umgeht, dass manche ihrer treuen Bewunderer sich weigern, ihre Handschrift wieder zu erkennen. Und das, obwohl die Ausstellung bei Neuger Riemschneider durchaus ermöglicht, den engen Zusammenhang zwischen dem wüsten „empire vampire“ und ihren mehr an den glatten Konturen eines kühlen Designs orientierten Skulpturen zu sehen.

Zunächst einmal durch den visuellen Zusammenhalt: Alle Skulpturen werden von schmalen Sockeln in Augenhöhe gehoben. Das gilt für „empire vampire“ ebenso wie für die schlanken Türme der „new buildings for berlin“, Teil einer Serie, mit der Isa Genzken auch schon zur letzten Documenta eingeladen war. Sie nehmen den Traum vom Glashaus auf, von den ersten Hochhäusern, die Mies van der Rohe für Berlin entwarf, transparente Hüllen um fragile Skelette.

Aber während die Avantgarde in edlen Materialien schwelgte und mit ihren technischen Herausforderungen das Machbare oft noch überforderte, nimmt Genzken fertige Materialien aus dem Baumarkt. Wie ein Kartenhaus sind die farbigen, klein gerasterten und lichtdurchlässigen Streifen aneinander gelehnt, die Form einer Idee verdichtend. Sie holen Kunstgeschichte zurück in die Gegenwart.

Auch in der Struktur der Oberflächen, gerastert, kleinteilig und spiegelnd, und in den Farben zeigen die verschiedenen Werkgruppen ihre Verwandtschaft. Das Relief „soziale fassade“ aus glitzernden, schillernden Klebestreifen und Dekofolie ist einerseits noch der Liebe zur Geometrie verpflichtet, vibriert aber andererseits schon im Rhythmus vorbeiratternder Züge oder der Musik über dem Tanzboden.

„Flugzeugfenster“ heißt die jüngste Arbeit, und Flugzeugfenster sind es tatsächlich, deren Rahmen Isa Genzken mit schimmernden Folien überzogen hat: Das wirkt wie ein Recycling nach dem Absturz, technische Utopien als Clubdekor. So zeigt sich, dass, was zunächst wie ein Sprung in eine Jugendkultur fern ihrem ursprünglichen Ansatz wirkt, sich doch gut damit verbinden lässt, ja sogar ermöglicht, neue Aspekte in ihren älteren Arbeiten zu entdecken.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Isa Genzken, bei Neuger Riemschneider, Linienstr. 155, 10115 Berlin, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 25. Oktober