: Her mit den einäugigen Löwen
Menschen, Tiere, Sensationen: Die klassischen TV-Auslandsmagazine setzen immer deutlicher auf leicht konsumierbareKost. KorrespondentInnen nörgeln, die Politik kommt oft zu kurz. Doch die Quote duldet wie immer keinen Widerspruch
von MEIKE RÖHRIG
Einsatz in den Schweizer Alpen: Eine Kuh ist an einem Steilhang abgestürzt und muss per Hubschrauber gerettet werden. Dass dem deutschen Fernsehzuschauer diese dramatische Bergungsaktion nicht vorenthalten wurde, ist nicht etwa dem RTL-„Notruf“ zu verdanken, sondern dem ZDF-„Auslandsjournal“.
Seit 30 Jahren gibt es das nun schon, der ARD-„Weltspiegel“ ist sogar 40 Jahre alt. Doch die Welt altert mit: Früher lebten die Magazine vom Exotikfaktor. Heute, wo Zuschauer als Touristen in den entlegensten Winkeln der Welt herumkriechen, hat sich das Sehverhalten verändert. Also muss sich auch die Berichterstattung über die Welt verändern. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sprach unlängst von einer „Neupositionierung der Auslandsberichterstattung“.
Und „Auslandsjournal“-Moderator und ZDF-Auslandschef Dietmar Ossenberg hat das offenbar schon verinnerlicht: „Ich hätte gern in jeder Sendung eine Tiergeschichte.“ Er hat es fast erreicht. Einige Themen der letzten Monate: „Kinder und Kobras in Thailand“, „Unterwegs mit den Pandaschützern von Sichuan“, „Das Affen-Waisenhaus am Mount Cameroon“. Mit Tieren kann man eben nicht verlieren.
Auch nicht mit Service- und Reisegeschichten. Die würden die „harte“ Berichterstattung ebenfalls zunehmend verdrängen und dabei „soziale Probleme in den betroffenen Ländern auf abenteuerliche Weise weichspülen“, sagt „Weltspiegel“-Moderatorin Tina Hassel. „Ausland light“ – schwere Kost stößt auf weniger Akzeptanz.
Das merkt auch Dirk Sager, Leiter des ZDF-Studios Moskau. Während elegische Reiseberichte wie „Russlands Küsten – Russlands Sehnsucht“ Quote machen, sind sperrigere Themen wie der Tschetschenienkonflikt nicht immer unterzubringen. Lang gediente Korrespondenten wie Eberhard Piltz, Ulrich Tilgner oder Dirk Sager sind über diese Entwicklung erwartungsgemäß nicht gerade glücklich: „Ich habe mal eine Geschichte über einen einäugigen Löwen im Zoo von Kabul gemacht“, so Sager. „Da war die Redaktion begeistert.“ Für andere Afghanistan-Berichte galt das nicht immer.
Eine „emotionale Achterbahnfahrt durch die Welt“ will dagegen „Auslandsjournal“-Redaktionsleiter Robert Bachem. Mit Boulevardisierung hat das alles nichts zu tun. Für die Redaktion ist es vor allem ein Zugeständnis an den ungünstigen Sendeplatz im Zweiten. Vorher gibt’s nämlich gerne mal die „Lustigen Musikanten“ oder aktuell „Die Deutsche Stimme 2003“. Fans solcher Schunkelshows mit ins „Auslandsjournal“ hinüberzuzerren ist nicht leicht. Dass trotzdem rund drei Millionen einschalten, ist wohl zielgruppengerechten Themen wie „Kabale und Liebe im holländischen Königshaus“ oder Rührstücken zu Prinz Williams 21. Geburtstag geschuldet.
Etwas leichter hat es der ARD-„Weltspiegel“. Er muss am Sonntagabend um 19.10 Uhr Freunde der „Lindenstraße“ für Außenpolitik begeistern. Hier setzt man im Gegensatz zum ZDF nicht auf Neupositionierung, sondern auf vorsichtige Modernisierung. „Wir sind der Dinosaurier unter den Auslandsmagazinen und wollen nur wenig verändern“, sagt Moderatorin und WDR-Auslandschefin Tina Hassel. Allerdings finden auch hier immer mehr Lifestyle-Themen den Weg ins Programm. Und eben Tiergeschichten, von Hassel vornehm „Georeportagen“ genannt: „Das wäre wohl vor 40 Jahren undenkbar gewesen.“
Blinder Fleck der gegenwärtigen Auslandsberichterstattung ist neben Afrika vor allem Europa. Während sich Berichte aus Russland und China derzeit hervorragend verkaufen, dümpeln Geschichte aus den europäischen Nachbarstaaten beim ZDF im Nachmittagsprogramm ungesehen vor sich hin. Bei „Heute in Europa“ ist die Tendenz zur Tiergeschichte unverkennbar, wie etwa die über „Schneeflöckchen“, den armen, unheilbar an Krebs erkrankten, weißen (!) Gorilla aus dem Zoo von Barcelona.
Und auch heute Abend wird’s wieder bunt im „Auslandsjournal“. Da geht es unter anderem um Moskauer Motorradgangs, Porno in Bagdad und Hanfanbau in US-Nationalparks – Kiffen in Kalifornien.
Tiere fehlen leider. Da hat die Redaktion was verpasst. Schließlich war doch gerade die Sache mit Roy und dem weißen Tiger. Aber vielleicht hat das auch damit zu tun, das heute (21.15 Uhr) ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender persönlich moderiert.
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