: Ehrfurcht vor dem Altern
Als Drehbuchautor und Schriftsteller des multikulturellen Britanniens wurde Hanif Kureishi berühmt. Inzwischen hat der 49-Jährige ein neues Thema gefunden: die Leiden der englischen Mittelschichten
von DANIEL BAX
Er kann ziemlich arrogant sein. Fragt man Hanif Kureishi, ob er „Zähne zeigen“, das Romandebüt der 28-jährigen Zadie Smith, gelesen habe, antwortet er lächelnd: „Nein. Aber Freunde haben mir gesagt, ich brauchte ihr Buch auch nicht zu lesen: Ich hätte es schließlich bereits selbst geschrieben.“ Für ihre Geschichte um ein britisch-pakistanisches Freundespaar war die Autorin vor drei Jahren mit dem britischen Booker Price ausgezeichnet und als neuer Star der postkolonial-hybriden Literatur des Landes gefeiert worden. Tatsächlich lassen sich bei ihr Parallelen zu Kureishis Büchern finden.
Kureishi aber setzt noch eins drauf: „Heute scheint es, als müsste man einen möglichst unaussprechlichen, exotischen Namen tragen und am besten noch weiblich sein, um in Großbritannien überhaupt noch ein Buch veröffentlicht zu können.“ Dann aber lässt er – bei allem Sarkasmus – durchblicken, dass er diese Entwicklung begrüßt. „Um ehrlich zu sein, bin ich froh, Teil einer so blühenden Kulturszene zu sein“, gibt Hanif Kureishi zu. „Als ich jung war, konnte man die Werke beispielsweise karibischer Autoren in England nur in ganz bestimmten Editionen kaufen, die sehr langweilige Cover besaßen.“ Und er selbst wurde, seines Namens wegen, gern als „Migrantenschriftsteller“ oder als „anglopakistanischer Autor“ tituliert. „Was objektiv falsch war.“ Schließlich wurde der Sohn einer englischen Mutter und eines pakistanischen Vaters im Londoner Vorort Bromley geboren, wo er auf einer rein englischen Schule recht assimiliert aufwuchs.
Mit seinen grau melierten Schläfen gilt Hanif Kureishi inzwischen fast schon als eine Art Elder Statesman der neuen britischen Literatur und zusammen mit seinem Duzfreund Salman Rushdie als deren kosmopolitisches Aushängeschild. Zuletzt war es zwar etwas ruhiger geworden um den einstigen Feuilletonstar. Doch zeigt er gleich auf mehreren Kanälen wieder Präsenz. Weswegen er sich im Foyer eines Berliner Hotels auch gern zum Gespräch mit deutschen Journalisten trifft.
Ein Vorbote war der Film „Intimacy“ des französischen Regisseurs Patrice Chérau, der vor zwei Jahren bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann und auf Kurzgeschichten von Hanif Kureishi basierte. Diese Woche kommt nun der Film „Die Mutter“ in die deutschen Kinos, zu dem er das Drehbuch schrieb (siehe Seite 16). Und pünktlich zur Buchmesse erscheint sein neuer Roman, „In fremder Haut“ (Kindler, 192 S., 14,90 €).
Wer aber in diesen Arbeiten nach Spuren dessen sucht, wofür Hanif Kureishi einst berühmt wurde, der wird enttäuscht. Ruhm erlangte der heute 49-Jährige in den Achtzigerjahren als Chronist eines multikulturellen Londons und als Bilderstürmer, der fröhlich vorherrschende Minderheiten-Stereotype zertrümmerte. Mit dem Regisseur Stephen Frears, der seine Drehbücher zu „Mein wunderbarer Waschsalon“ (1985) und „Sammy und Rosie tun es“ (1988) verfilmte, begründete Hanif Kureishi das neue britische Kino der späten Thatcher-Ära. Vor dem Hintergrund brennender Vorstädte warfen sich da asiatische Einwandererkinder und minderprivilegierte Weiße zusammen in die Bettlaken, quer durch alle Schichten und in allen Geschlechterkombinationen: Britannien als Burleske. Für seine Drehbücher wurde Kureishi mit Preisen überhäuft und für sein „Waschsalon“-Skript sogar für einen Oscar nominiert. Schon in den Jahren zuvor hatte er sich als Bühnenautor an Londons berühmtem Royal Court Theatre den Ruf eines Wunderkinds erworben. Und als er 1990 mit „Der Buddha aus der Vorstadt“ seinen ersten Roman schrieb, avancierte dieser prompt zum Bestseller und wurde von der BBC zur vierteiligen TV-Serie umgemünzt.
Doch von solchen Themen hat sich Hanif Kureishi inzwischen verabschiedet. Scheint es zumindest, wenn man seine letzten Bücher betrachtet, die eher um private Nöte kreisten: um das Drama des begabten Kindes („Gabriels Gabe“) oder das Drama eines eingefahrenen Ehealltags („Rastlose Nähe“). Dass er dabei gern Autobiografisches einfließen ließ, hat ihm Ärger mit Exfrauen und Familienmitgliedern eingebracht: Wie das eben so ist, wenn Schriftsteller zu privat werden. Kureishi selbst sieht den Bruch zu früher allerdings weniger kategorisch: „Als junger Autor hing ich noch dieser 19.-Jahrhundert-Idee des Romans als Gesellschaftsporträt an. Inzwischen aber bin ich mehr an einer einfacheren, direkteren Art des Erzählens interessiert“, wiegelt er ab und erklärt seinen heutigen Ansatz als aus dem Wunsch nach Vereinfachung gespeist: „Ich fühle mich eher so wie ein Filmregisseur, der sich fragt: Wie kann ich diese Geschichte in einer einzigen Kameraeinstellung erzählen?“ Ach ja, als Regisseur hat er sich auch schon versucht: 1991 zeichnete er mit „London kills me“, seinem ersten Film unter eigener Regie, die Lebensgeschichte eines Dealers nach.
Race, Class & Rock ’n’ Roll: Die einst typischen Kureishi-Themen tauchen heute jedoch nur noch am Rande auf. Dafür hat der immer noch jugendlich wirkende Autor, der auf die fünfzig zugeht, nun ein neues Thema entdeckt: das Alter und die Angst davor. An die Stelle des früheren „I hope I die before I get old“-Furors ist jetzt ein melancholisches „Help the Aged“ getreten, wie es in einem Pulp-Song heißt.
Sein neues Buch, „In fremder Haut“, erzählt, im Gewand einer Scifi-Parabel, eine zutiefst moralische Geschichte: Der 65-jährige Dramatiker Adam, in dem sich unschwer Züge von Hanif Kureishi wieder erkennen lassen, wähnt seine besten Jahre hinter sich. Den körperlichen Verfall vor Augen, eröffnet ihm der medizinische Fortschritt jedoch die Chance, in einen neuen, jugendlichen Body zu schlüpfen. Nach zunächst gelungenem Identitätswechsel muss er jedoch erkennen, das Schönheit allein nicht glücklich macht. Doch da ist es natürlich schon zu spät.
Die Idee zu seiner etwas fahrigen Dorian-Gray-Geschichte um Jugendwahn und Körperkult kam Kureishi beim Blick in den Fernseher, wo Themen wie Klonen, plastische Chirurgie und Fitnesswahn das Programm beherrschen. Und mit Blick auf seine beiden Söhne, die sich inzwischen dem Teenageralter nähern. „Sie sind zehn Jahre alt und machen schon Diäten!“ Seine eigene Jugend erinnert er sorgloser: „Ich bin in der frühen Ära des Massenkonsums aufgewachsen, als Jugendlichkeit zum ersten Mal zum Fetisch erkoren wurde.“ Damals sei Jugend aber noch als etwas gewesen, mit dem man verschwenderisch umgehen konnte. Heute gelte das nicht mehr. „Die Jugendlichen stehen unter einem enormen Schönheitsdruck. Und manche rebellieren dagegen, mit Magersucht oder Schlaflosigkeit. Das hat eine sehr selbstzerstörerische Seite.“
Auch Pop tauge nicht mehr als Fluchtpunkt, glaubt Kureishi. „Als ich aufwuchs, da gab es die Welt der Eltern, das war die ordentliche Welt. Und es gab die Gegenwelt des Pop. Heute ist das alles nur noch Kommerz“, gibt er sich kulturpessimistisch. Das ist insofern erstaunlich, als das Popmusik und Lebensgefühl bei ihm stets eine zentrale Rolle spielten, weswegen Kureishi zu den Pionieren der Popliteratur gezählt werden kann. 1994 veröffentlichte er zudem mit dem Kulturtheoretiker Jon Savage das „Faber Book of Pop“, einen Reader mit Texten zur Popmusik von 1945 bis 1988, der jene neuen Schreibweisen dokumentierte, die mit dem Siegeszug der Pop-Revolution einhergingen. Doch heute hört Kureishi lieber klassische Musik oder Jazz und hat den Glauben an das utopische Potential der Popmusik verloren. Auch Rebellen werden eben irgendwann müde.
Dass er nicht ganz den Draht zur nachwachsenden Generation verliert, dafür sorgen nun seine Kinder. Und die hören HipHop. „Es hat wirkliche Bedeutung für sie“, hat Kureishi erkannt und findet das auch ganz verständlich: „Sie machen die Erfahrung, von größeren und dominanten Menschen herumgeschubst zu werden: von Eltern, Lehrern oder auf dem Schulhof. Diese Musik gibt die Antwort darauf: Sie handelt von Allmachtsfantasien und dem Wunsch, gehört zu werden.“
Mit anderen Ermächtigungsfantasien hatte er sich zuletzt in seinem Buch „Das schwarze Album“ herumgeschlagen: mit dem Islamismus, dem „Faschismus der Dritten Welt“ (Kureishi). In seinem satirischen Roman trieb er den Zwiespalt eines jungen Londoner Pakistanis zwischen sexueller Libertinage und Fundamentalismus auf die Spitze. Mittlerweile aber stehen ihm die Probleme der englischen Mittelschicht offenbar näher als die der eingewanderten Unterschichten. Jedenfalls widmet er sich in seinem neuen Buch wieder den albernen Aspekten des grassierenden Esoterikbooms, einem Symptom westlicher Sinnkrise. Schon in „Der Buddha aus der Vorstadt“ taucht das Motiv auf: Da ließ er einen anglisierten pakistanischen Vater auf Hausfrauen-Guru umsatteln.
In seinem neuen Roman nun entflieht der Held auf eine griechische Insel, wo er bei einem weiblichen Esoterikzirkel Unterschlupf findet. Doch auch dort sieht er sich letztlich als Lustobjekt auf seinen Körper reduziert.
„Es fasziniert mich, wie ein idealisierter Osten zur Projektionsfläche gemacht wird“, sagt Hanif Kureishi. Insbesondere der Boom asiatisch inspirierter Therapieformen ist längst ein Massenphänomen: „Die Frau von Tony Blair hat einen Coach, der ihr Aromatherapie-Duschen verschreibt, damit sie sich die Giftstoffe vom Körper reiben kann“, kolportiert Hanif Kureishi.
„Die Menschen haben den Wunsch, sich in dieser kapitalistischen Welt mit ihrer Hektik und ihrem Konkurrenzdruck einen kuscheligen Platz einzurichten.“ Asiatische Heilmethoden als Metapher für das Leiden am Neoliberalismus? Für die Sehnsucht nach innerer Ruhe hat Kureishi durchaus Verständnis. „Aber als Marxist würde man das wohl eine Ideologie nennen.“
Kureishi zeigt sich aber eher amüsiert: „Jeder Student fährt heute nach Thailand, so wie früher jeder Amerikaner nach Venedig reisen musste: Es ist ein Initiationsritus. Selbst David Beckham trägt einen Sarong!“
Da mag es fast schon wie ein Paradox erscheinen, dass sich Kureishi just in dem Moment vom Thema ost-westlicher Missverständnisse abwendet, wo diese gerade erst so richtig in Fahrt kommen. Asien gilt inzwischen als hip, und in London grassiert das Bollywood-Fieber. „Es war mein Anliegen, von jenen Communities zu erzählen, die nicht an den Rändern der Gesellschaft leben, sondern längst ihr Zentrum bilden. Im Kern ging es darum, einen neuen Multikulturalismus auszurufen.“ Diese Saat ist inzwischen aufgegangen, doch Kureishi längst woanders.
„Wenn man sich mit der Zeit verändert, dann schreibt man eben über andere Dinge. Aber im Grunde beschäftigen mich noch immer die gleichen Themen“, sinniert Hanif Kureishi. „Und es liegt auch eine Gefahr darin, zu sehr in Mode zu kommen“, gibt er zu bedenken. „Denn Moden halten nie lange an.“
Der Schublade des Migrations-Schriftstellers ist er jedenfalls längst entwachsen. „Und ich bin mir sicher, Zadie Smith wird in zehn Jahren auch über andere Dinge schreiben als heute.“
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