Der große Franzose

Ein Nachrichtensender der staatlichen France Télévisions und des privaten TF1 soll BBC und CNN Paroli bieten – seine Unabhängigkeit ist zweifelhaft

aus Paris DORTHEA HAHN

Der Bericht ist 28 Seiten lang. Er enthält Vorschläge zur Schaffung und zur Finanzierung eines internationalen Nachrichtensenders. Der soll – wie vom Staatspräsidenten Jacques Chirac gewünscht – die „Stimme Frankreichs“ in die Welt tragen. Er soll die Konkurrenz mit CNN, BBC-World und al-Dschasira aufnehmen. Er soll komplett vom Staat finanziert, aber nicht in Frankreich ausgestrahlt werden. Er soll eine Zusammenarbeit der staatlichen France Télévisions und des privaten TF1 sein – bisher die größten Konkurrenten auf dem französischen TV-Markt. Er soll wenig kosten – 70 Millionen Euro im Jahr –, aber Scoops bringen und journalistisch unabhängig sein. Und er soll nebenbei für „Rationalisierungen“ in den bereits existierenden internationalen Sendern sorgen. Unter anderem sind radikale Einsparungen beim deutsch-französischen Arte und beim frankophonen TV5 vorgesehen.

In Paris hat der Abgeordnete Bernard Brochand mit seinem Vorschlag widersprüchliche Reaktionen ausgelöst. Nach dem Wunsch von Premierminister Jean-Pierre Raffarin soll der Sender bereits Ende nächsten Jahres auf Sendung gehen. Die Mitglieder einer parlamentarischen Kommission hingegen, die im Frühsommer eine Voruntersuchung über das von allen Parteien gewollte internationale Nachrichtenfernsehen machten, stellten gestern in der Zeitung Libération wütend fest, das Projekt sei „das exakte Gegenteil“ dessen, was sie vorgeschlagen hätten. Sie wollten eine Zusammenarbeit sämtlicher öffentlicher Medien. Die Privatsender sollten sich auf Wunsch beteiligen können. „Diese Pille ist schwer zu schlucken“, erklären die Abgeordneten jetzt.

Heller Aufruhr

In den Radio- und Fernsehanstalten herrscht heller Aufruhr. Bei Arte erinnerte Präsident Jérôme Clément: „Die publizistische Linie von Arte wird nicht von Brochand bestimmt“, und fügte hinzu, dass Entscheidungen über Arte eine deutsch-französische und keine rein Pariser Angelegenheit seien. Der Präsident des internationalen Senders TV5, Serge Adda, erinnerte, dass sein Sender auf einer Grundlage arbeitet, die von fünf Ländern unterzeichnet ist. Der Pay-TV-Sender Canal +, der eine eigene Kandidatur eingereicht hatte, versandte ein Kommuniqué mit einem einzigen Satz: „Wir nehmen erstaunt zur Kenntnis, dass die dominante Position von TF1 in der französischen Nachrichtenlandschaft weiter verstärkt wird.“

Die „Stimme Frankreichs“ soll zunächst auf Französisch, Arabisch und Englisch senden und fürs erste Afrika, den Vorderen Orient und den Fernen Osten bedienen. In den USA solle der Sender vorerst auf New York beschränkt sein. Brochands Begründung: Dort ist der UN-Sitz, und die französischen Auftritte im Weltsicherheitsrat würden von CNN und BBC-World nicht gebührend gewürdigt.

Angesichts der zweifachen staatlichen Kontrolle durch das Pariser Außen- und das Kulturministerium wird dem Sender die Unabhängigkeit schwer fallen. „Im schlimmsten Fall wird er unter starkem Einfluss der Regierung stehen und Bilder aus angelsächsischen Quellen kommentieren“, sagt der Mediensoziologe Jean-Marie Charon.

Für Journalisten, die in den Achtzigerjahren bei TF1 arbeiteten, könnte der Start des internationalen Fernsehens zu einem Déjà-vu werden. Im Jahr 1986 sorgte ein neu angetretener Regierungschef bereits für die Privatisierung des größten Senders zugunsten des ihm nahe stehenden Baukonzerns Buygues. Der Regierungschef hieß Jacques Chirac. Seine Freunde von damals dürfen sich erneut freuen.