: Aktienkurse vorhersagen, ohne Kaffeesatz
Börsenanalysten sollten dankbar sein: Die beiden Nobelpreisträger entwickelten Modelle für instabile Finanzmärkte
BREMEN ■ In diesem Jahr geht der Nobelpreis an zwei Pioniere der empirischen Wirtschaftsforschung. Die Forschungsarbeiten vor allem aus den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts sind selbst in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten kaum bekannt. Dabei ist die praktische Bedeutung dieser Erkenntnisse groß. Das täglich Brot der Finanzanalysten ist es, Prognosen zu den Preisen für Wertpapiere, Zinssätzen und Wechselkursen abzugeben.
Es sind aber genau diese strategischen Preise des globalisierten Finanzkapitalismus, die die heutige ökonomische Theorie nicht angemessen erklären und damit auch nicht prognostizieren können. Die Ursache ist klar: Diese Preise werden durch sich ständig verändernde Erwartungen gegenüber der Zukunft beeinflusst. Spekulationswellen bestimmen die Bewertung. Diese Unsicherheit gebiert die Instabilität und Flatterhaftigkeit grundlegender ökonomischer Zusammenhänge.
Genau hier setzt der wissenschaftliche Beitrag der beiden Nobelökonomen an. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, die Methoden zur Erfassung von ökonomischen Zusammenhängen unter Unsicherheit zu verbessern. Traditionell werden Zeitreihen erfasst, um Hypothesen etwa zum Einfluss der Zinssätze oder Aktienkurse auf das Investitionsverhalten zu beschreiben. Die beiden Nobelpreispreisträger finden sich nicht damit ab, die Interpretation der chronologischen Abfolge von Daten in einem statischen Muster konstanter Schwankungen einzupferchen. Denn die Realität etwa der Aktienmärkte ist nicht durch sich immer wiederholende Schwankungen gekennzeichnet. Vielmehr können diese im Laufe der Zeit stark variieren.
Der Amerikaner Robert Engle hat dazu seine so genannten ARCH-Modelle entwickelt. Mit ihnen wird den Veränderungen bei der Flatterhaftigkeit Rechnung getragen, die aus den Risiken und der Unsicherheit geboren sind. Daraus folgen wichtige Erkenntnisse für Finanzanalysten wie überhaupt für die Beschreibung moderner, hoch instabiler Wirtschaftssysteme.
Der Brite Clive Granger hat auch eine interessante Entdeckung gemacht: Während kurzfristig die ökonomische Dynamik von großen Störungen geprägt ist, werden die langfristigen Veränderungen durch recht stabile Beziehungen geprägt. Dazu das Beispiel zum Einfluss des Absturzes der New Economy auf die heutige Börsenentwicklung: Zwar wird kurzfristig durch irrationalen Überschwang an den Börsen geradezu zwangsläufig eine Seifenblase erzeugt. Diese muss jedoch platzen. Der wirtschaftlich rationale Sinn des Absturzes ist die Anpassung der Kursbewertungen an realistische Renditen aus der Produktionswirtschaft.
Damit erklären die Preisträger mit ihrer Methode ein heutiges Ärgernis. Der Absturz verändert die mittelfristigen Erwartungen an der Börse. Nach der großen Pleite erzeugt die heutige Vertrauenskrise nachhaltigen Pessimismus. Die Flatterhaftigkeit nimmt zwar ab, aber die Börse ist durch eine stagnative Grundtendenz gekennzeichnet.
RUDOLF HICKEL
Rudolf Hickel ist Wirtschaftsprofessor an der Uni Bremen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen