: Die Nacht der Alkoholiker
Das Musical „The Rat Pack“ versucht in Köln die Illusion eines legendären Abends aus Las Vegas mit den amerikanischenEntertainment-Göttern Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis jr.
VON PETER ORTMANN
Elvis ist tot, dennoch zieht seine Fiktion abertausende Gläubige nach Graceland und jede halbwegs gelungene Imitation lotst Massen an die Bühnen. Illusionen sind ein probates Mittel, Menschen von ihrer real existierenden Welt zu befreien. Besonders wirksam sind sie, wenn Unerreichbares vorgegaukelt wird. Sei es ein menschliche Widergänger wie Elvis oder Szenerien, die der Zeit oder dem Abrissbagger zum Opfer fielen. Es scheint so, als wolle jeder Besucher derartiger Veranstaltungen rituell am kollektiven Weltgedächtnis partizipieren und wenigstens den Versuch unternehmen, einen nekrophilen Hauch des Verpassten zu ergattern.
Im Musical Dome zu Köln kann jeder diesen Ansatz überprüfen. Gleich drei verstorbene Götter des amerikanischen Entertainments stehen dort wieder auf der Bühne, erfüllen sowohl die Illusion der Künstler, als auch die perfekte Nachahmung eines untergegangenen Universums inmitten des kalten Krieges. Live from Las Vegas singt, säuft und scherzt das „Rat Pack“ wieder durch die Nacht. Ohne Playback, ohne Alkohol und hoffentlich ohne die in Old Germany nicht zu vermittelnden Judenwitze, die in den 1960er Jahren in Amerika no problem waren und es im Strand Theatre im Londoner Westend heute noch sind. Frank Sintra, Sammy Davis jr. und Dean Martin leben gemeinsam mit Elvis im Künstler-Olymp, wurden aber mit Casting, Maske und Kostümbildner wieder auf die Erde gezwungen. „That‘ s Entertainment“ und natürlich lukrativ. Fans der drei gibt es millionenfach, bisher waren sie gezwungen, mit Tonträgern und historischem Filmmaterial auszukommen, jetzt können sie den exklusiven Lifestyle der damals Erwählten hautnah erleben. Mit ein bisschen Fantasie und etwas Kleingeld.
Nachgestellt wird ein Abend im Sands-Hotel von Las Vegas, das damals nur eine staubige Straße mit ein paar Häusern gewesen sein will. Die drei singenden Alkoholiker standen während der Dreharbeiten zum Hollywood-Klassiker Ocean‘s Eleven Abend für Abend auf der Bühne, lieferten gemeinsam eine der legendärsten Shows des vergangenen Jahrhunderts, die, im kollektiven Kultur-Gedächtnis verankert, heute noch einmal prima vermarktet werden kann. Die Nacht promotete sich damals unter dem Markenzeichen The Summit (Das Gipfeltreffen) und spielte auf die Begegnung von John F. Kennedy mit Nikita Chruschtschov 1961 an. Heute reicht der Aufmacher The Ratpack. Karten waren in Vegas rar und auch für damalige Verhältnisse mitten in der Wüste nur etwas für Begüterte. Das hat sich geändert, heute ist es ein Event für Tausende, die sich den Mix aus Tee-Whiskey, Ladies als Tramp und eben der Illusion, auch dabei gewesen zu sein, nicht entgehen lassen wollen.
Im Londoner Westend war Francis Albert Sinatra der Brite Steven Trifitt, der mit dieser perfekten Imitation selbst schon in der Spielerstadt aufgetreten ist. Dino Paul Crocetti alias Dean Martin wurde von Mark Adams dargestellt und George Long steppte als Sammy Davis jr. über die Bühne. Alle drei werden in Köln nicht zu sehen sein – die Figuren auf der Bühne sind austauschbar wie Barbiepuppen. Der Produzent aus London hat im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Schauspielern und Sängern gecastet, die, wie er sagt, „den Originalen optisch und vor allem auch gesanglich verblüffend ähneln“.
Damit ist das Schlüsselwort zum Verständnis des Erfolgs eines solchen Musical-Abends gefallen: Ähnlichkeit. Weder „Mr. Bojangles“, noch „That‘s Amore“ und schon gar nicht „Strangers in the Night“ reichen an das Original heran, nicht einmal an eine konservierte Aufnahme auf einem Silberling. Alle Darsteller geben ihr Bestes, haben endlose Bewegungsstudien gemacht, haben wahrscheinlich auch einen historischen Originalabend bis ins Detail analysiert. Doch sie bleiben Kopien, aurafrei wie eine Mona Lisa von Konrad Kujau. Nur wer sich auf die Illusion einlässt, wer sich zwingt, zu glauben, dass Sinatra und seine Kumpane nicht tot sind, kann theoretisch etwas aus dem Abend mit nach Hause nehmen. Eine leise Ahnung davon, wie es damals gewesen sein könnte. Zumindest ein bisschen. Für eine Hommage ist das Plagiat zu gewollt, für eine Nachahmung waren die Götter des Entertainments einst zu groß. Ihre Rillen haben sie in der Wachstafel des Sokrates hinterlassen, doch abspielen lassen sie sich nicht mehr. Da hat Mnemosyne, die Mutter der Musen, einen Riegel vorgeschoben, der nicht zu öffnen ist.
The Rat Pack15. Juni bis 4. Juli 2004Musical Dome KölnTickets: 0221-2801
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