: Zeichner und Wunder
Der Arte-Themenabend über Animes (heute, ab 22.15 Uhr) ist eine wunderbare Einführung in die visionäre Welt des asiatischen Trickfilms
VON ALEX MENGER
Flushhh! Der Charakter eines Landes offenbart sich in seinen Prioritäten: Gerüchteweise verbraucht Japan für seine Manga-Hefte mehr Zellstoff als zur Herstellung von Toilettenpapier. Der Rest der Welt nimmt die internationale Comic-Szene erst langsam als ernsthaften Kulturbetrieb wahr – ganz so, als zweifle man noch am wahren Unterschied zwischen Hakle, Hentai und Hergé. Grund genug für Arte, das neue Jahr mit Aufklärungsarbeit über die gezeichneten Geschichten und ihre Macher zu beginnen: Neben der bereits angelaufenen siebenteiligen Reihe „Comix“ widmet der Sender heute dem asiatischen Trickfilm einen Themenabend.
Die Dokumentation „Der Tempel der tausend Träume“ (22.15 Uhr) begleitet die Anime-Meister der legendären Ghibli-Studios, die mit der Hiroshima-Parabel „Die letzten Glühwürmchen“ und „Prinzessin Mononoke“ die visuelle Kultur Japans in den letzten 20 Jahre geprägt haben. Im Anschluss läuft mit „Ghost in the Shell“ (23.10 Uhr) von Mamoru Oshii einer der erfolgreichsten Animes in Spielfilmlänge. Mit Millionenbudget und dem damals revolutionären Einsatz von Computergrafik zählt die Melange aus apokalyptischem Cyberpunk und metaphyischer Meditation von 1995 zu den Genrestiftern der Japanimation. Seine Geschichte destilliert die Essenz aller Endzeitdramen: Während die Grenzen zwischen Realität und Internet verschwimmen, wird Japan 2029 von Megakonzernen beherrscht. In dieser Hightech-Welt bekämpft eine von Fragen nach dem eigenen Ich getriebene Cyborg-Polizistin wider Willen den virtuellen Abschaum des World Wide Web. Auf der Suche nach dem berüchtigten Hacker „Puppet Master“ fasst sie den Plan, in seine Seele – den Ghost – einzudringen, um Antworten auf die Fragen nach ihrer Existenz zu finden.
Mit Abstand von zehn Jahren hat „Ghost in the Shell“ einiges von seinem Nimbus als Nullpunkt einer ganzen Filmgattung eingebüßt. Megakonzerne und Computermatrix gab es schon beim Veteranen William Gibson („Neuromancer“), und die Suche nach der Seele in der Maschine war bereits bei „Blade Runner“ en vogue. Der Einfluss von „Ghost“ selbst ist wohl am deutlichsten bei „The Matrix“ erkennbar, dessen Konstruktivismus für Anfänger überdeutlich Oshiis Film zitiert. Die Cyberpunk-Welt dreht sich im Kreis. Was den Film hingegen einzigartig macht, sind vor allem seine monumentalen Bilder. Selten war die urjapanische Spannung zwischen Moderne und traditionellem Erbe so schön anzuschauen. Die Szenerien morphen von Techno-Zerfall zu japanischen Fabelwelten – eine so wundervoll leichte und zugleich tief symbolische Hyperästhetik gibt es wohl nur in Manga und Anime zu sehen. Zum Abschluss des Abends folgt noch die Dokumentation „Der letzte Meister“ (0.40 Uhr), die den fast schon verschwundenen Zeichentrick im Stil von Scherenschnitten, Schattentheater und Tuschmalereien würdigt.
Weitaus erbaulicher geht es im Rahmen des Comics-Monatsschwerpunkts von Arte bereits am Samstag weiter – mit dem Franzosen Fred, dem Schöpfer von „Philémon“. Am 15. Januar folgt ein Porträt des Pulitzer-Preisträgers Art Spiegelman, der Mäuse nach Auschwitz deportierten ließ, um so die unsäglichen KZ-Erlebnisse seiner Eltern aufzuarbeiten. Besonders die „Comix“-Reihe zeigt, dass genügend Zeichner in Europa und den USA es verstehen, ihre Lebenswelten in wunderbare Bilder und Sprechblasen zu formen. Damit auch hierzulande endlich mehr Papier für Comics gebraucht wird als für Klopapier, gilt deshalb ab heute: Arbeiten wir daran. Wooosh!
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