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Diva im Flug

Mary Pierce hat in ihrem Tennisleben viel schon mitgemacht. Nun ist sie 30, mit sich im Reinen – und kann heute zum fünften Mal in ihrer Karriere das Finale eines Grand Slam-Turniers erreichen

AUS PARIS DORIS HENKEL

Ist es denn nicht so, dass Äußerlichkeiten bisweilen auch das Innere beschreiben? Also fangen wir damit an, was Mary Pierce, 30, bei diesem Turnier trägt: schlichte Tops und gerade geschnittene Röcke mit durchgehenden breiten, farblich abgesetzten Seitenstreifen. Kein Markenname darauf zu sehen, kein Werbesticker, nichts. Das ist mal ganz anders gewesen. Mehr als zehn Jahre lang hatte sie einen Vertrag mit dem Marktführer Nike, trug Kleider und Kreationen, die zum Teil für sie entworfen worden waren. Aber Nike ist längst an anderen interessiert; an Serena Williams, die in den schrillsten Teilen Tennis spielt – und als Gegenentwurf zur gleichermaßen erfolgreichen wie attraktiven Maria Scharapowa. In dieser Gesellschaft war kein Platz mehr für Pierce; sie hat es ohne größere Verwunderung zur Kenntnis genommen, ist nun Testperson für eigene Ideen und will demnächst eine Linie mit Tennismode präsentieren.

Wer wie sie in 16 Jahren einer wechselvollen Karriere mehr als 7 Millionen Dollar Preisgeld verdient hat, der kann auch ohne opulente Verträge gut leben, aber das ist es nicht allein. Nach dem Sieg im Viertelfinale gegen Lindsay Davenport, immerhin die Nummer eins des Frauentennis, schwärmte Pierce, sie habe sich gefühlt wie ein Adler im Flug. Über den Bergen, getragen vom Wind der Ereignisse. Denn unter den Dingen, die sie in all den Jahren gelernt hat, steht eine Erkenntnis obenan: Vergiss nicht, die Aussicht zu genießen, wenn du schwebst; wenn der Wind nur ein klein wenig dreht und du den Moment nicht erkannt hast, ist er unwiederbringlich verloren.

Wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass sie, wie neulich im Spiel gegen Patty Schnyder, nach zwei vergebenen Matchbällen in gespielter Resignation einem Balljungen den Schläger in die Hand drückt und lacht? Dass sie weitermacht, als sei nichts geschehen, und neun Matchbälle später voller Freude gewinnt? Sicher, auch die Mary Pierce 2005 pflegt noch Gewohnheiten, die Gegnerinnen und Zuschauer aus der Fassung bringen: hier ein Zupfen am Rock, dort ein waidwunder Blick, die Zeit beim Aufschlag bis an die Grenze ausgereizt und manchmal auch darüber hinaus. Oft genug wurde sie für ihr divenhaftes Verhalten mit Zurückweisung bestraft. Mit Schaudern erinnert sie sich an eine Niederlage aus dem Jahr 96 gegen Barbara Rittner, als sie dachte, das könne alles nicht sein. „Gepfiffen haben sie. Haben die andere angefeuert. Und ich hab gedacht: Sind wir hier noch in Frankreich?“

Es ist bekannt, dass die Beziehung der Franzosen zu Mary Pierce immer von mancherlei Vorbehalten geprägt war. Für viele war sie, die in Kanada geborene, in Florida aufgewachsene Tochter einer Französin und eines Amerikaners, nur mit Einschränkung eine der Ihren; sie hatte die französische Staatsbürgerschaft ihrer Mutter angenommen, um in den Genuss der Verbandsförderung zu kommen, aber sie lebte in Florida. Doch einer Siegerin verzeiht man leicht. So gewann nicht Mary, sondern Marie vor fünf Jahren den Titel, dann natürlich nach allen Regeln der Kunst gefeiert. Besser eine halbe Französin als gar keine mit dem Pokal im Arm. Inzwischen sind die Fronten offensichtlich auf eine Art geklärt, mit der alle zufrieden sind. Mary Pierce hat nach wie vor ein Apartment in Bradenton/Florida, von dem sie sagt, das sei ihr Zuhause. Dort lebt sie, wenn sie freihat, dort sind Familie und Freunde. Aber die Zeit des Trainings verbringt sie in Paris, arbeitet im Leistungszentrum des französischen Verbandes. „Ich weiß jetzt, dass das der richtige Ort für mich ist“, sagt sie, „hier habe ich ein Team, das sich um mich kümmert.“

Der Unterschied ist nicht zu übersehen; rank und schlank ist sie nun mit 30, gut zu Fuß wie seit Jahren nicht mehr. Sie ist noch immer anfällig für Verletzungen, quält sich auch dieser Tage wieder mit einer Zerrung herum. Und dennoch: Zuversichtlich und entspannt wie selten zuvor ist Mary Pierce auf einmal wieder ein Thema. Die Chance, mit einem Sieg gegen die russische Außenseiterin Jelena Lichowzewa heute zum fünften Mal in ihrer Karriere das Finale eines Grand-Slam-Turniers zu erreichen, ist greifbar und groß. Sie kann es kaum erwarten, sie ist aufgeregt, und sie fühlt sich wohl in ihrer Haut.

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