Der Zweck heiligt die Titel

Zwanzig Jahre nach „Live Aid“ soll am 2. Juli noch einmal die Welt gerettet werden. Dutzende Popstars werden in fünf Städten zum globalen Schuldenerlass aufspielen

Als Gerücht geisterte es ja schon eine ganze Weile durch die Popwelt, seit Dienstag ist es nun offiziell: „Live Aid“, jenes unvergessene Weltrettungsspektakel vom Juli 1985, wird diesen Sommer seine Fortsetzung finden. Zwanzig Jahre später, noch eine Nummer größer und wieder organisiert von einem dieser Weltrettungsrockmusik-Iren, die merkwürdigerweise überzeugender als irgendjemand sonst das universelle Glücksversprechen der Popmusik in weltweit sichtbare Politsymbolspektakel zu übersetzen in der Lage sind. Zwar hat Bob Geldof die Neuauflage von „Live Aid“ angekündigt. Doch organisiert wird „Live 8“, wie sich die Veranstaltung nun nennt, von dem U 2-Sänger Bono Vox.

Alle haben sie zugesagt: Paul McCartney, U 2, Madonna, Sting, Mariah Carey, Robbie Williams, Elton John, REM, Bon Jovi, Eminem, Usher, Stevie Wonder, Will Smith, Prince. Fehlt noch wer? Ach ja, die Spice Girls sollen sich zu einer Reunion zusammentun, wird von den Veranstaltern angedeutet. Am Samstag, den 2. Juli soll das Ganze über die Bühne gehen und an fünf Orten parallel stattfinden, in London, Paris, Rom, Berlin und Philadelphia. Und während vor dem Brandenburger Tor die sagenhafte Kombination BAP, Peter Maffay, Die Toten Hosen, A-ha und Brian Wilson auftreten sollen (heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel?), soll sich vom Londoner Hydepark aus im Anschluss an das Konzert ein Marsch auf Edinburgh in Bewegung setzen, wo vier Tage später der G-8-Gipfel beginnt. Er erwarte rund eine Million Demonstranten, sagte Geldof, und: „Was vor 20 Jahren begann, wird nun politisch.“

Ein interessanter Satz, der tatsächlich einen Paradigmenwechsel kennzeichnet. Das „Live Aid“-Spektakel vor zwanzig Jahren betrachtete Popmusik noch als Vehikel zur Mobilisierung dessen, was wir heute die globale Zivilgesellschaft nennen. Deren Bürger sollten „Power machen“, wie Udo Lindenberg es damals so unnachahmlich formulierte, also Geld spenden und sich jenseits staatlich organisierter Politik um die Armen kümmern, die der ungerechten Weltordnung ausgeliefert waren: „Nackt im Wind“, um den legendären Titel der deutschen Anti-Welthunger-Allstars noch einmal zu zitieren.

„Live 8“ funktioniert nun anders. Hier wird zwar auch eine globale Öffentlichkeit mobilisiert. Der Adressat sind jedoch die Staatschefs der G-8-Staaten, die aufgefordert werden sollen, den ärmsten Staaten der Welt die Schulden zu erlassen. „Live 8“ vollzieht eine Haltung nach, die sich auch durch weite Teile der globalisierungskritischen Bewegung zieht: Staatsapparate nicht länger als Gegner zu betrachten, sondern als letzten Verbündeten im Kampf gegen eine außer Kontrolle geratene Globalisierung.

Schön für alle Beteiligten, sollte es klappen: sollte einigen Dutzend Superstars gelingen, worauf ein paar zehntausend Aktivisten seit Jahren hinarbeiten. Über alldem sollte man aber eines nicht vergessen: Die Nationalstaaten garantieren ihren Bewohnern zwar viele Rechte und schützen sie vor einiger Unbill. Genauso bieten sie aber ebenjener Globalisierung den institutionellen Rahmen zu ihrer Entfaltung. Grenzen schützen nicht nur, sie schließen auch aus.

TOBIAS RAPP