Mozart sah schon mal besser aus

Vorwärts zum großen Mozart-Jubiläum 2006: Salzburg übt schon und versenkt eventuelle Vorfreude tief in der Salzach. Denn so angestaubt wie die Ladenhüter der Geschäfte wirkt auch das diesjährige Motto der Festspiele „Tradition und Fortschritt“. Nur die Außenseiter des Musikbetriebs überzeugten

Bei der Annäherung wirkt der Festspielbezirk, es lässt sich kaum leugnen, als sei die Zeit stehen geblieben

VON FRIEDER REININGHAUS

Salzburg hat Anlauf genommen zum Superjubiläum: 2006 wird der 250. Geburtstag des Wunderknaben und Musikers gefeiert, der die Ortschaft an der Salzach so wundersam erhöhte. Die ganze Stadt wird in Geiselhaft genommen, Leute strömen zu hunderttausenden herbei. Ein Mammutseelenhaushalt will befriedigt werden und die Kassen müssen klingeln.

Nur wenig Schubkraft allerdings trauten die Profis dem auf die Festspiele 2005 vorgezogenen Start zum fiedelnden, zwitschernden, tutenden, dröhnenden Gedenken zu. Allzu matt wirkten die Ankündigungen: Die Titel und Namen, die bei den Traditionsfestspielen ins Rennen um neues Opernglück geschickt wurden, lockten keinen Hund hinterm Ofen hervor. Dirigenten wie Kent Nagano oder Marc Minkowski gehören quer durch Europa zum Alltag des Musikgeschäfts, Regisseure wie Nikolaus Lehnhoff oder Graham Vick zur pensionsberechtigten Altherrenriege.

Das war ein Grund zum Nörgeln für die konservative Presse: Die „Leuchttürme“ strahlen nicht! Ersatzweise enthüllte die FAZ die wahre Natur einer Nebendarstellerin beim „Jedermann“ (lesbisch!). Wahrscheinlich ist der Grund der Salzach damit noch nicht erreicht; die Wiener Presse kann’s da unten übrigens noch besser.

Bei der ersten Wiederannäherung an Mozarts Stadt wirkte der Festspielbezirk heuer, es lässt sich kaum leugnen, als sei die Zeit stehen geblieben. Unverdrossen laden die Glasvitrinen in den Mönchberg-Tunnel, zu „behaglich wohnen“ und „bürgerlich speisen“. Die Firma Geiger in der Goldgasse preist ihre alten Hüte an, Pia Antonia „Starke Mode für stärkere Frauen“. Doch es wird auch diskret modernisiert: Ein „Haus für Mozart“ entsteht an der Stelle des früheren Kleinen Festspielhauses. Noch versprüht der sauber zementierte Betonkern im Gebäudekomplex den Charme einer Bedürfnisanstalt an der Autobahn, doch bis zum kommenden Sommer soll das kleine Wunder dann doch noch vollbracht, die neue Musik-Abfüllstation einsatzfähig sein.

Salzburg bleibt Salzburg und sich treu in der abgedroschensten konservativen Allgemeinformel: „Tradition und Fortschritt“. Sämtliche 22 Bühnenwerke und -torsos, die Mozart hinterließ, sollen bei den kommenden Festspielen irgendwie in Erscheinung treten – und durchaus auch publikumswirksam. Daher wurde Riccardo Muti, in Mailand arbeitslos geworden, nach langer Generalpause wieder herbeigerufen und zur bekanntesten und beliebtesten Mozart-Oper, der „Zauberflöte“, mit viel Vorschuss-Beifall empfangen. Gemessen an der musikalischen Intensität, gefühlsechten Präzision und intelligenten Differenzierung, für die Marc Minkowski mit dem Musiciens du Louvre im unmittelbaren Vergleich anhand des krassen Mozart-Außenseiters „Mitridate“ zu sorgen versteht, sieht Muti mit der Wiener philharmonischen Startruppe grau aus. Da hilft auch die bunte Kinderstube nicht, die der Regisseur Graham Vick für den Prinzen Tamino auf die große Festspielbühne bauen ließ, um von ihr aus eine positiv gestimmte Jugend durch die Altersheimwelt Sarastros zu siegreicher Liebe ziehen zu lassen. Diese brutal entzauberte „Zauberflöte“ gibt in Salzburg einen Vorgeschmack auf den breiten Weg, den das Mozart-Gedenkjahr dann breiter zu planieren verspricht.

Einen produktiven Abstecher gab es immerhin: Der Intendant Peter Ruzicka wagte den diesjährigen Festspielauftakt mit Außenseitern – mit den „Gezeichneten“ von Franz Schreker. Kent Nagano sorgte mit dem luzide und so gar nicht weanerisch intonierenden Deutschen Symphonie-Orchester Berlin für die Basis des Erfolgs. Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung führte das Fin-de-siècle-Werk mit aller Schönheits- und Genusssucht vor, als Fortschreibung einer von da Ponte und Mozart ausgehenden Traditionslinie. Gezeigt wurde freilich auch der Abgrund, der sich unter ihr auftut: wie an Kunstsammlungen Blut kleben kann. Die Zusammenhänge von Seelenliebe und körperlichem Begehren spielte Schreker obsessiv frei – und der Aktualität von Kinderschändern und Lustmord wich Lehnhoff nicht beschönigend aus. Mit dem Schlussbild war die Brisanz dieser Produktion allgemein klar: was es bedeutet, wenn das Schöne und das Hässliche ebenso wie Gut und Böse ihre Konturen verlieren.