Mit Tränen in den Augen

■ Neues von den Filmfestspielen in Venedig von John Carpenter und Ken Loach

Von Arno Widmann

Ein Märchen. Ein Märchen aus Chinatown, San Francisco, USA, gedreht von John Carpenter. Eine Geschichte mit chinesischen Ungeheuern, Hausdrachen und Schrumpfköpfen, mit Kampfszenen fast wie bei den Shaw–Brothers und kurz vor Schluß drei Paare auf der Leinwand wie einst in der Opera Buffa. Dazu jene trocken amerikanische Art, die wir so lieben. Z.B. wenn die völlig unfähige Journalistin unbedingt mit in die lebensgefährliche Schlacht zwischen gut und böse möchte, man ihr das verwehrt und sie mit groß aufgerissenen Augen, einer entschlossenen Handbewegung und mit dem Grollen der versammelten US–Airforce in der Stimme erklärt: „You cant keep the press out. This is America.“ Der ganze Saal lag flach vor Lachen. Und dann der Schluß. In letzter Minute, wenn alle Paare sich im glücklichen Hafen der Ehe gefunden zu haben scheinen, bricht der Amerikaner aus, läßt seine Lady stehen, setzt sich in seinen Laster und steht als einsamer Held wieder für neue Abenteuer zur Verfügung. Daß der große, starke Amerikaner während des ganzen Films den Part des kleinen Dummies spielt, der den chinesischen Hokuspokus nicht durchschaut und so sehr den kühlen Macho spielt, daß er - Schauspielerei erfordert eben ganze Konzentration - die Angst tatsächlich darüber zu vergessen scheint. Die Geschichte von „Big Trouble In Little China“: Um wieder zu ihrem Mädchen zu kommen, nehmen richtige Männer es mit allen Gespenstern und allen Teufeln der Welt auf. Das ist natürlich nicht die Geschichte, sondern die Moral. Die Geschichte ist umständlicher und - wichtiger noch - sie könnte einem die Lust, sich den Film anzusehen, verderben. 99 Minuten was für die Gänsehaut, einen kleinen Herzschrittmacher und Tränen in den Augen - vor Lachen. Was wollen wir mehr von der industry. Nichts zu lachen, keine Spannung und keinen Grusel, dafür jede Gelegenheit, sich moralisch zu entrüsten, gibts in: „Fatherland“ von Ken Loach (GB). Ein Liedermacher aus der DDR kommt in den Westen, macht sich auf die Suche nach seinem Vater, der schon 1953 westwärts gegangen war, am Ende stellt sich heraus, daß der Vater, der von der DDR–Opposition als antistalinistischer Held gefeiert wird, für die Gestapo und später für den US–amerikanischen Geheimdienst arbeitete. Das und die Empörung gegen die Vermarktung des Liedermachers durch seine Plattenfirma wird so hausbacken in gestelzte Dialoge verpackt; dazu trottet die Kamera immer brav hinter den auf und ab gehenden Darstellern her. Ein weiteres Rührstück aus der politischen Mottenkiste. Wenn nicht eine Viertelstunde lang eine Frau sich anstelle von Gerulf Pannach in den Vordergrund spielen würde: Fabienne Babe. Jeder Regisseur, der auch nur einen Funken Verstand hat, hätte den Brocken hingeschmissen, sich ein neues Drehbuch besorgt und Fabienne Babe die Hauptrolle gegeben. Der Film hätte mit einem Male das gehabt, wonach er mit allen Mitteln völlig erfolglos gierte: Authentizität. Übrigens: Carpenters Film läuft im Programm für die jungen Leute, Loachs im Wettbewerb.