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Nichts im Kopf, aber Kultur im Sinn

■ Kulturmief, Gedankenarmut, „Kuki“ - angesichts der europäischen „Autorenfilme“ packte unseren Festival–Korrespondenten das Entsetzen

Aus Venedig Arno Widmann

Im Wettbewerb fast nur Kuki. Das war bei uns an der Schule die Abkürzung für Kunschtkino. Filme von Leuten, die nichts im Kopf, aber Kultur im Sinn hatten. Es sind Leute, die egal, was sie machen, immer Kultur absondern. Man vergleiche, was Peter Lilienthal, der Autor des bundesrepublikanischen Festivalbeitrages zu seinem Film „Das Schweigen des Dichters“ zu sagen hat: „In einem stillen Haus am Stadtrand von Tel Aviv leben sie zusammen: Yoram, ein Dichter, der von sich sagt, er habe seine Melodie verloren, und Gideon, sein spätgeborener Sohn“, man vergleiche diese triefige Lyrikimitation mit Edward Zwicks Charakteristik seines Films, der natürlich nicht im Wettbewerb, sondern im Nebenprogramm läuft: „Boy meets girl. Boy loses girl. Boy gets girl back“ - und man hat mit einem Schlag den Unterschied nicht nur dieser beiden Filme. Wenn Mastroianni in Angelopoulos „Melissokomos“ 140 Minuten lang nicht einmal ein zartes Lächeln andeuten darf, wenn er den ganzen Film hindurch mit eingesunkenen Schultern durch die Gegend schlurfen muß und wenn er zu den Klängen eines auf Moll gestimmten Klaviers über eine Brücke geht und pünklich ein paar Nebelschwaden vorbeikommen, dann ist das Kuki. Und jeder Mensch, der noch zwei Gramm Verstand beisammen hat, flieht den Ort solchen Geschehens. Theo Angelopoulos liefert Kuki hoch drei mit einer Beischlafszene, in der er Mastroianni erspart, sein Fleisch zu zeigen, während die junge Nadia Mourouzi es, natürlich vor Wonne stöhnend, kulturell wertvoll an den Mann bringt. Welchen verhinderten Oberlehrern haben wir eine „Schloß“– Verfilmung zu verdanken, die den armen K. in Dolby–Stereo mit Pauken und Trompeten in einem ganzen Symphonieorchester zu Tode bringt. Donner heißt der Mann, der für die Musik in des Finnen Jaakko Pakkasvirta „Das Schloß“ verantwortlich ist. Aber wer gibt solchen Leuten die Möglichkeit, sich und ihren Mangel an Phantasie, ihren Kulturmief, unter die Leute zu bringen? Das Wettbewerbsprogramm wird bestimmt von dieser Art Film. Rohmer, Resnais haben damit nichts zu tun. „Autorenfilm“, das ist ein Etikett wie Sozialismus. Wer heute als Autorenfilmer auftritt, tut das nicht, weil er etwas zu sagen hat, sondern weil er nicht in Konkurrenz treten möchte zu US– amerikanischen Filmen. „Autorenfilm“, Rondi, der Organisator des Festivals, spricht von den „Opere“, den Werken im Gegensatz zum „Cinema, Cinema“, das ist die trademark, unter der Langeweile, Bildungsschutt und Volkshochschule verkauft werden. Ein kleiner, fast bedeutungsloser Markt, aber offensichtlich ernährt er ein paar Leute ganz gut. Laß sie machen, was tun sie schon Böses? Sie verdummen, sie machen uns blöde. Wenn eine Möwe übers Wasser fliegt, das ist Poesie, sagt Peter Lilienthal und wenns dazu noch geigt, gibts einen Preis, sagt die Jury. Kulturindustrie, das ist nicht Dallas und Denver. Kulturindustie, das ist jene Art Kino, die in den letzten zwanzig Jahren als linke Alternative zu Opas Kino gewachsen ist und jetzt Stammheim in schönstes Blau ausmalt, zeigt, daß Rosa Luxemburg kein politischer Roboter, sondern ein Mensch war. Und jeden neuen Blick, jeden neuen Ton, jeden Gedanken erstickt in der quastigen Langeweile ihrer vorfabrizierten Bilder und Dialoge. Jeder der bisher im Programm für die Dummen und Blöden - „Venezia Giovani“ - gezeigten Filme ist zigmal genauer, politischer und befreiender als Oliveira, Lilienthal, Angelopoulos, Loach zusammen. Seht euch John Carpenters „Big Trouble in Little China“ an, lacht in „Kurzschluß“ von John Badham oder in Maurice Phillips „The American Way“ usw. Aber erspart euch und euren Freunden das versammelte europäische Kunschtkino. Neben den großen Alten ist in den letzten Jahren nichts nachgekommen. Und falls doch, dann nicht auf diesem Kanal.

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