: Die UNO mit afrikanischen Augen
■ Der Alltag eines afrikanischen UNO–Diplomaten / Dr. Djibril Diallo wird auch in der 41. Sitzungsperiode der UNO–Vollversammlung beharrlich gegen Fehlurteile über seine afrikanische Heimat streiten / Die UNO müsse sich der Lösung von Weltproblemen widmen und nicht zur Tribüne für globale Profilneurosen werden
Aus New York Ute Büsing
Er spricht 12 Sprachen, darunter sechs oder sieben europäische. Seit Anfang 1985 residiert Dr. Djibril Diallo als Informationschef des „Büros für Notaktionen in Afrika“ bei den Vereinten Nationen in New York. Der 33jährige Senegalese sieht sich als „Vermittler zwischen den Menschen Afrikas und der internationalen Gemeinschaft“. Als die UNO Ende Mai/Anfang Juni ihre einwöchige Sondersitzung zur „Wirtschaftlichen Krise in Afrika“ austrug, waren Organisationstalent, Sprachgewandtheit und Sachkenntnis des schwarzafrikanischen Karrierediplomaten besonders gefragt. Djibril, wie stets in leuchtende afrikanische Tunikas gehüllt, war nahezu rund um die Uhr für die Presse verfügbar, teilte erste Kommuniques aus, organisierte Interviews mit den über 80 angereisten Ministern. Obwohl etliche afrikanische Staaten unzufrieden mit dem Ausgang der Afrika–Sondersitzung sind, verbucht Mit–Motor Djibril Diallo sie als Erfolg. „Zum erstenmal überhaupt wurde ein moralisch bindendes Dokument verabschiedet, in dem festgestellt wird, daß 80 Milliarden Dollar Hilfe von außerhalb nötig sind, um die Krise in Afrika bewältigen zu helfen.“ Sogar um diese Feststellung hätten sich die westlichen Industrienationen am liebsten noch gedrückt. Djibril lächelt milde, wenn ihm die Kritikermeinung vorgehalten wird, der Ausgang der Afrika– Sondersitzung sei letztlich nur ein weiterer Beweis für die Ineffektivität des Weltvölkerrates. „Das liegt doch völlig in der Verantwortung der Mitgliederstaaten. Es ist ein verbreitetes Mißverständnis, daß die UN wie ein Einzelstaat funktionieren könnte. Sie kann nur dann stark sein, wenn sie sich der Lösung von Weltproblemen verpflichtet.“ Mr. Diallo ist ein gestandener UNO–Mann, „fühlt mehr als Afrikaner denn als Senegalese“, Beschlüsse der Vereinten Nationen, so betont er, sind immer in erster Linie „moralische Verpflichtungen“ und nicht formaljuristisch bindend. Wandel sei indes angesagt. „Die Mitgliedsländer müssen verstehen, daß die heutige UNO nicht die von 1945 ist. In den 60er und 70er Jahren drängten Neuankömmlinge aus gerade un abhängig gewordenen Staaten nach. Die haben natürlich ganz neue Bündnisse geformt, die das von den Gründern etablierte Gleichgewicht der Kräfte durcheinander gebracht haben. Die entscheidende Frage ist nun, ob die internationale Gemeinschaft mit der Tatsache umgehen kann, daß sich die heutige Welt total gewandelt hat“. Wenn er „Internationale Gemeinschaft“ sagt, meint der UNO– Informationsspezialist für die Krisensituation in Afrika noch immer den Club der 51 überwiegend weißen westlichen Industrienationen, die sich nach dem Scheitern des Völkerbundes und nach zwei Weltkriegen 1945 erneut als Vereinte Nationen organisierten. Das war lange vor der Emanzipation weiter Teile Afrikas und Asiens von kolonialer Bevormundung. Trotz völlig verschobener Weltlage, mit 101 blockfreien Staaten, einer (laut–)starken Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), einem nicht minder nachdrängenden Asean–Bündnis, hängen die fünf Großen (USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, China) immer noch an ihrem Veto– Recht im Weltsicherheitsrat. Auch 1985, Jahr des ausgiebig gewürdigten vierzigsten Jubiläums der Weltorganisation, zogen vornehmlich die USA und Großbritannien immer wieder den Joker „Veto“ unterm Debattiertisch hervor - vor allem dann, wenn es um wirklich weltbewegende Entscheidungen, etwa die Verhängung strikter Wirtschaftssanktionen gegen das Apartheidsregime in Südafrika, ging. Solches und die zermürbenden West–Ost– Zerrspiele meint Djibril, der UNO–Mann, wenn er „Umdenken“ und „Wandel“ einklagt. Star Wars ist ebensowenig ein vordringliches Dritte–Welt– Thema wie die Imageprobleme des Kreml–Führers Gorbatschow. Dürre, Mißwirtschaft, Ausbeutung von Rohstoffen durch die „Erste“ Welt und Hungersnöte wie in der afrikanischen Sahel– Zone sind indes Probleme mit Ausmaßen, die nur international angegangen werden können. Auch deshalb verbucht Djibril, dessen kleines, effektiv organisiertes Büro regelmässig den African Emergency Report herausgibt und mit Interviews in Radio, Fernsehen und eigenen Artikeln in der Presse „weitverbreiteten Mißverständnissen über Afrika“ entgegenzuwirken versucht, die Afrika–Sondersitzung als ersten Achtungserfolg. „Wir haben damit einen neuen Anfang gesetzt, der jetzt von den dafür vorgesehenen Organisationen, wie etwa der OAU oder der Weltbank, aufgenommen und fortgesetzt werden muß. Die UN kann dabei nur als Sekretariat funktionieren“. Während der Sondersitzung hat Djibril oft (und gerne) „rund um die Uhr geackert. Ich erinnere mich an die Abschlußsitzung, da bin ich morgens um halb sechs aufgestanden, so gegen sieben abends für eine kurze Dusche nach Hause gegangen, und dann haben wir bis elf Uhr nachts über dem Abschlußdokument gebrütet. Aber das liegt in der Natur meiner Arbeit. Wir sind eben die Zentralstelle für die Verbreitung sämtlicher Informationen über die afrikanische Notlage“. Ein normaler Arbeitstag gestaltet sich für den Info–Spezialisten etwa so: „Ich komme so gegen halb acht in mein Büro und durchforste etwa zwölf internationale Tageszeitungen, mit Schwerpunkt auf der Afrika–Berichterstattung. Gegen 9.15 Uhr haben wir eine Mitarbeiterbesprechung, in der wir die Krisenlage der letzten 24 Stunden besprechen und entscheiden, welche Aktionen unmittelbar getroffen werden müssen. So ab zehn habe ich dann eine Reihe von Reporter–Anrufen, gehe zu Vorträgen, schreibe Artikel usw. Normalerweise gehe ich so gegen sechs abends nach Hause“. Djibril Diallo publiziert nicht nur in UN–Organen, sondern regelmäßig auch in großen Tageszeitungen wie dem Christian Science Monitor, Afrika–spezialisierten Monatsblättern, oder in Socialist Affairs, dem Organ der Sozialistischen Internationale. Was sind die „weitverbreiteten Mißverständnisse“ über Afrika, denen er mit seiner Mittler–Arbeit entgegenzuwirken versucht? „Ein typisches Mißverständnis, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, ist das Thema (Über–)Bevölkerung. Viele Leute denken, es gibt einfach zu viele Menschen in Afrika, die einzige Krisenlösung wäre strikte Geburtenkontrolle. Natürlich gibts ein Problem durch Bevölkerungswachstum, aber Maßnahmen zur Geburtenkontrolle sind nur dann sinnvoll, wenn sie mit forciertem Wirtschaftswachstum Hand in Hand gehen“. Djibril lehnt sich milde lächelnd zurück. „In den Vereinigten Staaten reden sie nicht über unser Wirtschaftswachstum, sondern über die Kontrolle des Bevölkerungswachstums“. Djibril, geboren und aufgewachsen in einer Lehmhütte in Kolda Senegal, hat die Probleme seiner Welt von der Pike auf studiert. Er ist mit zwei afrikanischen Sprachen großgeworden - heute spricht er acht. Seine Schul– und Hochschulausbildung zum Sprachlehrer erhielt er im Senegal, ging 1974 dann in dieser Funktion nach Nottingham (England) und erarbeitete sich Zertifikate in Rassen– und interkulturellen Beziehungen. Vor sechs Jahren folgte in London die Promotion in Linguistik. Als stellvertretender Direktor am „International African Institute“ brachte er in der Themse–Stadt bereits seit 1976 unterschiedliche Kulturen miteinander und dem Rest der Welt in Verbindung. Das prädestinierte das Kommunikationstalent geradezu für einen UNO–Job. Von 1980 bis 1983 diente Djibril Diallo dem Hochkommissar für Flüchtlinge in Genf in verschiedenen Funktionen. 1984 wechselte er als Informationsbeamter für Afrika ins UN–Hauptquartier nach New York über. Mit 33 Jahren ist der Schwarzafrikaner, und das gesteht er milde lächelnd zu, „in einer sehr priviligierten Position. Ich hab das Beste von zwei Welten. Mindestens alle zwei Monate geh ich nach Afrika, vor Ort...“ Djibril hat die Verbindung zur Lehmhütte in Kolda nicht vergessen. „Es besteht eine Notwendigkeit, Afrika für die Welt außerhalb zu erklären, um diese ewigen Mißverständnisse zu vermeiden. Dazu kann ich mit meiner Arbeit einen kleinen Beitrag leisten“. Die Medien etwa haben den afrikanischen Eigenleistungen zur Bewältigung von Dürrekatastrophen und Hungersnot kaum Beachtung geschenkt und sich stattdessen auf „We are the World“–Musikspektakel und Hilfe von außen konzentriert. Nachdenklich läßt Djibril das auf seinem Schreibtisch aufgebaute Pendel ausschlagen. Im mit Dschungelpflanzen zugewucherten, vollklimatisierten UNO– Büro des Drittweltkommunikators entsteht eine längere Pause. „Im Resultat ist der Eindruck entstanden, daß Afrikaner faule Leute sind, die nur darauf warten, daß jemand von außen kommt und sie aus dem selbst angerichteten Unheil errettet. Tatsächlich gibts jede Menge Beispiele für Selbsthilfe, lange bevor irgendjemand für Afrika gesungen hat. Nur: Darüber ist nie berichtet worden“. Um das verändern zu helfen, ist Djibril Diallo vom Dorf in Senegal „einen sehr langen Weg gegangen“. Wenn am 16. September die 41. Klappe für das Weltvölkergremium fällt, wird der Afrikaner vor und hinter den Kameras wieder voll mit dabei sein. „Ob mit oder ohne UNO, Reform im Weltmaßstab ist dringend notwendig“.
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