: Den Bock zum Gärtner gemacht
■ Deutsche Forschungsgemeinschaft bestellt den umstrittenen Historiker Ernst Nolte zum Oberauf– seher für geplante Theodor–Herzl–Gesamtausgabe / Betroffene Wissenschaftler wollen abwarten
Berlin (taz) -Der Historiker Ernst Nolte, dem der renommierte Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel in der ZEIT vom 12.9.86 bündig nachgewiesen hat, daß und wie er die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Massenvernichtung der Juden vernebelt und verharmlost, ist immer wieder für eine Überraschung gut. Nolte, der bekanntermaßen die Auffassung vertritt, daß die russische Revolution die faktische und logische Bedingung von Auschwitz war; der seinen israelischen Kollegen Saul Friedländer dazu zwang, sein Haus zu verlassen, indem er ihn mit der antisemitischen Frage behelligte, ob Hitler nicht nach einer „Kriegserklärung“ der Jewish Agency gegen Nazideutschland berechtigt gewesen sei, die Juden Osteuropas wenn schon nicht umzubringen, so doch zu deportieren, wird seine diesbezüglichen Auffassungen alsbald im schon einschlägig bekannten SIEDLER Verlag publizieren. Nun wird, nach gut einem halben Jahr Verzögerung, aus Kreisen der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekannt, daß Ernst Nolte die etatmäßige Verantwortung für das von der DFG geförderte Projekt der Herausgabe sämtlicher Schriften Theodor Herzls, des Gründers des politischen Zionismus, übernommen hat. Das editorische Projekt, ursprünglich von dem Duisburger Politologen J.H. Schoeps und dem in Israel lebenden Nestor zionistischer Geschichtsschreibung, Alex Bein, konzipiert und seither von ihnen wissenschaftlich verantwortet, hatte von Anfang an mit dem Mißtrauen der (stets geheimen) DFG Gutachter zu rechnen. So wurde dem Projekt, das nunmehr nach sechs Jahren in die dritte Fortschreibung geht, zunächst der einschlägig nicht bewanderte Historiker Repken als weiterer Antragsteller aufgenötigt. Als Repken nach einigen Jahren nicht mehr bereit war, diese Rolle weiterzuspielen, übernahm der Kölner Judaist Herrmann Greive die „Betreuung“. Das heißt in diesem Fall, daß nicht die wissenschaftlich verantwortlichen Forscher Schoeps und Bein, die auch die publizistischen Herausgeber von Herzls Werken sind, über die etatisierten Mittel und damit über die Dienstaufsicht im Projekt verfügen, sondern ein Dritter, der aus welchen Gründen auch immer das Vertrauen der Gutachter besitzt. Offensichtlich konnten die Gutachter der DFG sich nie dazu durchringen, den jüdischen Forschern Schoeps und Bein dieses Vertrauen entgegen zu bringen. Nachdem der Kölner Judaist Greive, der mit Schoeps und Bein gedeihlich zusammenarbeitete, vor mehr als einem Jahr unter tragischen Umständen von einer geistesgestörten Studentin in der Universität erschossen wurde, verfielen die unbekannten Gutachter im Hintergrund ausgerechnet auf Ernst Nolte als Etatträger. Somit ist das Projekt seit geraumer Zeit an Noltes Professur an der FU Berlin etatisiert. Wie gerüchteweise verlautet, wurden Schoeps und Bein von der Hinzuziehung Noltes ohne jede weitere Konsultation von einem untergeordneten Sachbearbeiter benachrichtigt. Die beiden Wissenschaftler wollen sich offensichtlich, um das einmalige und wissenschaftlich bedeutsame Projekt nicht zu gefährden, zunächst ruhig verhalten, Bein ist sogar daran interessiert, mit Nolte über die einschlägigen Streitfragen zu diskutieren. Derzeit sieht es so aus, als wollten sie den Skandal solange vermeiden, wie Nolte sich mit seiner Zahlmeisterrolle begnügt und nicht beansprucht, auch offiziell als Herausgeber von Herzls Schriften zu fungieren. Doch der Skandal ist schon jetzt gegeben, wenn Ernst Nolte, der die zionistische Jewish Agency der frühen vierziger Jahre zum stellvertretenden Völkerrechtssubjekt für alle Juden erhob und somit deren Deportation durch die Nazis glaubt rechtfertigen zu können, zum Betreuer eines Projektes ernannt wird, das ausgerechnet die Schriften des Gründers des politischen Zionismus ediert. Es ist zu fragen, ob die entsprechenden historischen Fachgutachter der DFG die einschlägigen Ansichten Noltes denn nicht kannten. Ist ihnen also ein Irrtum unterlaufen oder handelt es sich um eine bewußte Rancune? Es ist wissenschaftspolitischer Usus, daß die Fachgutachter der DFG geheim bleiben. Gleichwohl ist bekannt, daß gerade die Historiker in ihrer großen Mehrheit eher konservativ sind. Der Gedanke also, daß konservative Gutachter Nolte lanciert haben, ist so abwegig nicht. Jedenfalls bei weitem nicht so abwegig wie der Gedanke, die wenigen liberalen und linken Gutachter hätten ihn zum Etatverwalter der Herzl Edition erhoben.
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