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Szenen eines New Yorker Mafia–Prozesses

■ In New York stehen die Führer des amerikanischen Ablegers der Mafia, der „ Cosa Nostra“, vor Gericht / „Tony Ducks“, „Tom Mix“ und der „Fette Tony“ bieten Stoff für Flurgespräche / Bisher bemüht sich das Gericht um die Bildung einer Jury

Aus New York Gisela Freisinger

Am Tag der Prozeßeröffnung, einem Montag Anfang September, ist Raum 318 im Bundesgerichtshof in Manhattan bis auf den letzten Platz besetzt. Steif und eng gedrängt sitzen die Hundert potentiellen Geschworenen. Sie müssen an diesem Tag einen mehrseitigen Fragebogen ausfüllen, der von ihnen unter anderem darüber Auskunft verlangt, ob sie schon einmal von Al Capone, Vito Genovese oder Lucky Luciano gehört haben. Ellbogen an Ellbogen skizzieren in den ersten beiden Reihen die bekanntesten und fähigsten Gerichtszeichner New Yorks um die Wette, dem Blick nach vorne mithilfe von Feldstechern nachhelfend, während Über ihre Schultern Journalisten kiebitzen und ihr Tun heftig flüsternd kommentieren. Solch privilegierten Platz haben allerdings nur jene erhalten, die sehr frühzeitig erschienen sind. Alle anderen müssen stehen. Mit einer Ausnahme: Der äußerste, beste Platz auf der Bank bleibt frei - dank eines Zettels, auf den mit Bleistift „Times“ gekritzelt ist. Unnötig zu erwähnen, daß niemand wagen würde, die Reservierung der New York Times zu ignorieren. Schließlich gilt es auch, hinter vorgehaltener Hand, wichtigere Fragen zu benuscheln. Etwa: „Warum hat denn der Fette Tonyein blaues Auge?“ „Soviel ich weiß, hat man ihm letzte Woche einen Tumor wegoperiert.“ (Man hat.) „Mensch, der Kerl ist 75, schauen Sie mal, wie prächtig der aussieht.“ „Das ist der Gefährlichste von allen.“ In diesem Augenblick tupft sich Anthony Salerno, der nicht ohne Grund der „Fette Tony“ genannt wird, mit seinem weißen Taschentuch ein paarmnal auf sein geschwollenes Auge, steckt es wieder weg und thront bis zur Wiederholung dieser knappen Geste bewegungslos in seinem Armlehnstuhl. „Von wegen Anklagebank“. Ihm gegenüber, ohne einen Anwalt in ihrer Mitte, Anthony „Tony Ducks“ Corallo und Salvatore „Tom Mix“ Santoro. „Fehlt nur noch, daß sie ihre Zigarren rausziehen.“ „Vielleicht serviert ihnen vorher noch jemand Spaghetti.“ „Haha“. Apropos Spaghetti. „Schauen Sie mal, wie dünn Persico geworden ist. Der sieht ja richtig blendend aus.“ (Von Carmino „Junior“ Persico wird noch häufiger die Rede sein). „Der in der Ecke aber auch. Wie heißt der denn noch mal?“ „Ach, das ist nur ein kleiner Fisch, unwichtig in diesem Verfahren.“ „Warum heißen die eigentlich alle Tony?“ „Ja, jetzt fällts mir wieder ein - Anthony Indelicato. Er ist der Jüngste hier, gerade mal 30.“ „Hätte ruhig was Anständiges werden können, so wie der aussieht...“ Einer der Zeichner dreht sich um und zischt, „eine klassische Schönheit ist der Mann“. „Hat auch abgenommen.“ „Warum fegen Sie eigentlich Jane Fonda nicht von der Bestsellerliste?“ „Wie denn das?“ „Ganz einfach, schreiben Sie die Mafia–Diät. Dem 63jährigen Richter Richard Owen eilt der Ruf voraus, „hart, aber gerecht“ zu sein. Er eröffnet ein Verfahren, das bereits jetzt als historisch gilt - den Prozeß gegen die „Zentrale“, den FBI–Chef William Webster als „beispiellosen Angriff auf die Struktur und Führung des organisierten Verbrechens“ bezeichnet hat. In der 25 Punkte umfassenden Anklageschrift, die Owen knapp und bündig vorträgt heißt es, daß die „Zentrale“ der Cosa Nostra bzw. Mafia im wesentlichen aus den Bossen von fünf Familien besteht, die von New York aus operieren: Gambino, Genovese, Colombo, Lucchese und Bonnano. Unter den acht Angeklagten sind drei (vermeintliche) Bosse: der 75jährige „Fette Tony“ (Genovese), der 73jährige „Tony Ducks“ (Lucchese) und der weit jüngere (53) Carmine Persico (Colombo). Des weiteren die „Stellvertreter“ Gennaro „Jerry Lang“ Langella, 45, (Colombo) und Salvatore „Tom Mix“ Santoro, 70, (Lucchese), „Consigliere“ Christopher „Christy Tick“ Furnari, 62, (Lucchese), sowie Ralph Scopo, 55, (Colombo) und Anthony Indelicato, 30, (Bonnano). Ferner heißt es in der Anklage, die Mafia bestehe in den Vereinigten Staaten seit etwa 1900 und werde seit 1931 bis zum heutigen Tage von der „Zentrale“ geleitet, die für Bestechung, Erpressungen und Exekutionen verantwortlich zeichne. Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft, so Richter Owen, stütze sich u. a. auf Insider– Zeugen, undercover agents und abgehörte Gespräche - auf denen die Bosse Salerno und Corallo Familiengeheimnisse ausplaudern -, die als Tonbänder vorlägen. Zum Abschluß seiner Prozeßeröffnung stellt Owen den geladenen Schöffenanwärtern die Angeklagten und ihre Verteidiger vor. (Selbst mafiavertraute Gerichtsreporter behaupten, dies käme ihnen wie ein Who–is–Who vor; ein Laie brauche bestimmt Tage, bis er die Prominenz der anderen Art auseinanderhalten könne). Einer nach dem anderen erheben sie sich, und Carmine Persico kann sich, wie noch sehr oft in dieser ersten Woche, ein Grinsen nicht verkneifen. Auch Samuel Dawson, Verteidiger von Salvatore Santoro, weiß schon vor Prozeßeröffnung Erheiterndes zu erzählen. „Die Anklage schließt auch das Feuer von Chicago und das Erdbeben von San Francisco ein.“ Und kaum ist der Prozeß eröffnet, tragen die Verteidiger ihre (routinemäßigen) Anträge auf Vertagung vor. Das blaue Auge von „Fat Tony“ wird als Grund genannt und die viel zu große Öffentlichkeit, die der Fall habe. Carmine Persico, der nicht nur Angeklagter, sondern auch sein eigener Anwalt ist - und damit nochmehr Publizität auf sich zieht - beantragt Aufschub, da er noch mitten in einem anderen (Berufungs–)Verfahren steckt. Der Richter lehnt ab. „Dann möchte ich einen Antrag auf nicht schuldig einbringen, Euer Ehren.“ Ein Raunen geht durch die Reihen. Einer jungen Frau, die bis dahin sehr konzentriert an einem Babyjäckchen strickt, fällt eine Nadel runter, nickende Häupter schrecken wieder hoch und jemand kann ein zynisches Lachen nicht ganz unterdrücken. Richter Owen beruft die Anwälte ins Hinterzimmer. Erhobenen Hauptes schreitet Persico mit ihnen hinaus und niemand hat übersehen, wie wieder dieses breite Grinsen über sein Gesicht huscht. „Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie hatten ein schönes Wochenende“, begrüßt Richter Owen am Montag dieser Woche (15. Sept.), freundlich wie immer, die noch 30 in Frage kommenden Schöffenanwärter. Unter den professionellen Beobachtern des Verfahrens wird allseits lobend anerkannt, daß bereits sechs zukünftige Geschworene feststehen. (Im Vergleich zum Gotti– Prozeß, der vor einigen Wochen in Brooklyn eröffnet wurde, gilt das geradezu als rasantes Vorankommen). Die Stimmung im Raum 318 hat etwas von Kirche und Klassenzimmer. Das liegt an den harten Holzbänken und daran, daß niemand richtig Lust hat mitzumachen. Außer den Angeklagten findet kaum jemand einen Grund zum Lachen. Einschläfernde Andächtigkeit herrscht ansonsten und ungefähr alle zehn Minuten wird jemand in den „Beichtstuhl“ gerufen, um dort ein paar Fragen zu beantworten. Eine erste Frage, die Richter Owen stellt, lautet immer ähnlich: „Haben Sie irgendwelche persönlichen Eindrücke von einer Organisation, die sich Mafia nennt?“ Die Gerichtsprotokolle vermerken häufig sehr gleichlautende Antworten der von der Staatsbürgerpflicht Gerufenen. Etwa: „Ich bin überzeugt, das ist eine organisierte kriminelle Vereinigung...“ oder „mein Eindruck ist, daß diese Leute oft illegal handeln...“. Ein Schauspieler macht dem Richter gegenüber geltend, es sei sehr schwer für ihn, Phantasie und Realität auseinanderzuhalten, überhaupt sei für ihn, vom theatralischen Standpunkt aus, das Gericht derart aufregend, daß er sich nur sehr schwer konzentrieren könne. In den Protokollen sind auch häufige Einwände und Vorschläge von seiten Mister Persicos an „Euer Ehren“, Richter Owen, festgehalten. Als Anwälte und Richter die Vorgehensweise etwa der Befragung diskutieren, möchte Carmine Persico zukünftige Geschworene davon unterrichtet wissen, daß die Mafia keine kriminelle Organisation sei: „Man kann in der Mafia sein und keine Verbrechen begehen.“ In einem langen Verbalduell Owen– Persico begründet der Richter seine „Probleme“ mit diesem Vorschlag. Fazit: „Es ist nicht die Mafia, die vor Gericht steht“, sondern einzelne Angeklagte, denen nur unter anderem vorgeworfen wird, Mitglieder der Mafia zu sein. Zu einem anderen Zeitpunkt befürchtet Carmine Persico, die Befragten könnten dem Richter intellektuell nicht folgen, denn „die meisten dieser Leute sind nicht sehr gebildet... Sie (Owen) sollten eine weltlichere Spreche benützen.“ Richter Owen macht geltend, daß er sich seit 35 Jahren darin geübt habe, „Menschen Fragen zu stellen, die sie verstehen und beantworten können“. (Wiederum das Ende eines langen, sehr sophistischen Wortgefechtes). Carmine Persico, der in der ersten Woche nicht nur Eloquenz, sondern auch eine Vorliebe für rote Seidenschlipse demonstriert, wird, das hat er verlautbaren lassen, auch in Zukunft nicht auf das - zeitraubende - Vergnügen verzichten, Richter Owen in Verbalgeplänkel zu verwickeln. Als sein eigener Anwalt nimmt er an Besprechungen teil, die gewöhnlich nur dem Richter, den Staatsanwälten und Verteidigern zugänglich sind. Er wird die Zeugen (der Anklage) ins Kreuzverhör nehmen und den Geschworenen sein Schlußplädoyer halten. „It s the Gang Show“, schreiben denn auch die Boulevardblätter und selbst der im Ton eher unterkühlte „Times“–Reporter hat Carmine Persico als den Star in der noch anhaltenden ersten Runde gekrönt. Frank Lopez, langjähriger Anwalt von Carmine Persico und im Gericht als sein „juristischer Berater“ anwesend, verteidigt seinen Klienten nun auf andere Art: „Er hat recht mit seiner Entscheidung, denn er vermittelt einen Einblick in den Fall, von dem ich niemals träumen könnte.“ An dieser Stelle grinst nicht nur Persico.

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