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Argentinien macht Folterknechten den Prozeß

■ In Buenos Aires beginnt der Prozeß gegen General Camps, der für Tausende von „Verschwundenen“ verantwortlich ist und nichts bereut / Die Anklageerhebung muß jetzt oder nie erfolgen / Regierung Alfonsin steht unter dem Druck der Justiz und der Militärs

Aus Buenos Aires Dirk Bruns

Heute beginnt in der argentinischen Hauptstadt der öffentliche Prozeß gegen General Camps, Ex– Polizeichef der Provinz Buenos Aires und Symbolfigur der blutigen Repression der Militärdiktatur. Nachdem im Dezember 1985 das „Gran Juicio“, das Urteil gegen die neun Mitglieder der drei Militärjunten von 1976 bis 1983 gefällt wurde, sind nun die Handlanger an der Reihe. Staatsanwalt Strassera und die Verteidiger haben die Vernehmung von 400 Zeugen beantragt. So werden sich die Sitzungen vermutlich bis anfang November hinziehen. Das Urteil wird für Dezember erwartet. Im gleichen Prozeß werden auch Camps Nachfolger, General Pablo Riccheri, und eine Reihe hoher Polizeibeamter wegen schwe rer Menschenrechtsverletzungen wie illegaler Freiheitsberaubung, Folter und Mord angeklagt. Die Beweislage ist erdrückend. Die Angeklagten Camps und seine Folterkumpanen sind von vielen Zeugen gesehen und wiedererkannt worden. Dieser Prozeß ist auch deshalb wichtig, meint Staatsanwalt Strassera, weil nun „die Prinzipien und die konkreten Grenzen der vieldiskutierten Gehorsamspflicht bestimmt werden müssen“. Camps, der sich noch vor einigen Jahren der Anwendung der Folter als probatem Mittel der Terrorismusbekämpfung gerühmt hatte und anfang 1985 vom Gefängnis aus einen Putsch einleiten wollte, begreift sich in einem dieser Tage veröffentlichten Interview als Opfer der „Absprachen zwischen Alfonsin und dem Marxismus“. Daß in diesem Kampf unter seiner Verantwortung als Polizeichef 5.000 Menschen „verschwanden“ hatte er schon 1983 in einem andern Interview zugegeben: „Die meisten von ihnen sind tot, andere flohen unter falschem Namen ins Ausland und eine kleine Minderheit hat mit uns kollaboriert und wurde unter falscher Identität freigelassen.“ Im September 1976 wurde eine ganze „subversive“ Familie, die Eltern und ihre Kinder im Alter von fünf und vier Jahren sowie sechs Monaten, in der Vorstadt von Buenos Aires durch Kopfschüsse ermordet - eine der Episoden des „Heiligen Krieges“, so Camps. Die Regierung Alfonsin steht immer mehr unter dem doppelten Druck der langsam, aber kontinuierlich arbeitenden Justiz einer seits und dem der Militärs andererseis. So haben in den letzten Wochen die obersten Staatsanwälte der Nation eine Revision im „Gran Juicio“ gefordert, und Strassera hat im Prozeß gegen die Verantwortlichen des Malwinenkrieges Revision eingelegt, um eine Strafverschärfung zu erreichen. Außerdem laufen nun an vielen Provinzgerichten auch Beweisaufnahmen gegen noch aktive Offiziere. Die Militärs tun ihren Unmut immer offener kund. Als sich vor zwei Wochen Oberst Pla, der wegen Mord an zwei linken Politikern angeklagt ist, zunächst weigerte, vor einem zivilen Gericht auszusagen, fand er bei vielen Militärs Unterstützung. General Gorleri kritisierte sogar öffentlich die Prozesse gegen Angehörige der Armee und wurde darauf sofort vom Verteidigungsminister mit Zustimmung von Armeechef Erenu entlassen. Jedoch auch Erenu sagte letzte Woche, daß diese Prozesse nicht ewig dauern dürften. Aber noch wühlt die Vergangenheit breite Kreise der argentinischen Gesellschaft auf. Letzte Woche wurden in Cordoba wieder fünf Leichen mit Schußwunden aus der Zeit der Militärdiktatur gefunden. Bereits Hunderttausende haben den Film „Die Nacht der Bleistifte“ gesehen, der erst vor zwei Wochen angelaufen ist und die Greuel der KZs Arana und Banfield dokumentiert, die beide im Zuständigkeitsbereich von Camps lagen. Die Verjährungsfrist für illegale Freiheitsberaubung beträgt sechs, für die Anwendung von Folter zehn Jahre. Deswegen gilt für die Anklageerhebung:jetzt oder nie.

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