Kein Demoaufruf - der Wahl zuliebe

■ Grünen–Bundesversammlung einigt sich auf Nicht–Unterzeichnung des Wackersdorf–Demo–Aufrufs Hetzkampagnen wie in Hannover vermeiden / Fischer: Einzug in bayerischen Landtag hat absoluten Vorrang

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die Debatte hat Joschka Fischer erschreckt, drei Parteimitglieder zum Austritt veranlaßt und der Bundesversammlung den ersten Höhepunkt beschert. Der Antrag des Kreisverbandes München– Nord, die Bundesversammlung möge zur Großdemonstration gegen Atomanlagen und Polizeistaat am 4. Oktober in München aufrufen und sich an deren Finanzierung beteiligen, wurde in Nürnberg nach hitziger Debatte abgelehnt. Stattdessen verurteilte die Bundesversammlung „aufs schärfste“ das inzwischen vom Kreisverwaltungsreferat der SPD–regierten Stadt München aus verkehrstechnischen Gründen und wegen zu erwartender Gewalttaten erlassene Demonstrationsverbot. Die Mitglieder des Bundesvorstands Christa Merkel, Rainer Trampert, Jutta Ditfurth und Regina Michalik u.a. halten den Beschluß der Bundesversammlung für einen schweren Fehler und rufen zur Demonstration auf. Ihrer Meinung nach vollzog sich in Nürnberg „unter der Hand ein neues Verhältnis der Partei zu Teilen der außerparlamentarischen Bewegung“, die sich den „vermeintlichen wahlpolitischen Notwendigkeiten unterzuordnen hätte“. Die Demonstration eine Woche vor den bayerischen Landtagswahlen hatte bereits innerhalb der bayerischen Grünen und der Anti– WAA–Bewegung für Streitigkeiten bis hin zur drohenden Spaltung gesorgt. Nach dem wahltaktischen Rückzug von SPD, BUND Naturschutz und einem Teil des grünen Landesvorstands hatten sich auch die Oberpfälzer Bürgerinitiativen und Teile der Autonomen aus den Vorbereitungen zur Demonstration ausgeklinkt. Im Vordergrund stand die Befürchtung, etwaige von der Demonstration ausgehende oder von der Polizei provozierte Auseinandersetzungen wären ein gefundenes Fressen für die CSU. Dies könnte dann bei der Landtagswahl entscheidende Prozentbruchteile kosten. Joschka Fischer appellierte dementsprechend an die Delegierten: „Erinnert euch doch an Han nover.“ Unter großem Beifall betrachtete er den Einzug der Grünen in den bayerischen Landtag als absolut vorrangig, als „schlimmste Strafe für Franz Josef Strauß und die WAA–Befürworter“. Die von Teilen des bayerischen Landesvorstands befürwortete Nichtbefassung des Antrags auf Unterstützung der Großdemonstration endete jedoch nur mit einem Patt. Auf Intervention von Landesvorstandssprecherin Ulrike Windsperger wurde das Thema mehrheitlich zur bayerischen Angelegenheit erklärt. Die Delegierten des Freistaats einigten sich schließlich mit 81 zu 20 Stimmen darauf, das Verbot zu verurteilen und den Demonstrationsaufruf nicht zu unterzeichen. Ohne weitere Debatte schloß sich die Bundesversammlung diesem Vorschlag an.