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200.000 Polizisten gegen 2.000 „Störer“

Berlin (taz) - Seit den großen Anti–AKW–Auseinandersetzungen Anfang Juni sammelt die Polizei bundesweit ihre Kräfte, um „künftig durch die polizeilichen Maßnahmen das Recht des Bürgers auf eine friedliche und unbewaffnete Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlung zu sichern und das Austoben radikaler Gewalt mit hoher krimineller Energie zu verhindern“. So wurde das Ergebnis einer polizeiinternen Tagung vom 26. und 27. Juni in der Polizei–Führungsakademie in Münster in einer Presseerklärung der Öffentlichkeit präsentiert. Was sich hinter diesem Vorhaben konkret verbirgt, enthüllt das Protokoll der Tagung, das der taz jetzt zugespielt wurde. Politiker und führende Polizeibeamte tauschten in den zwei Tagen ihre Erfahrungen aus den Einsätzen in Wackersdorf, Brokdorf und Hamburg, ihre Einschätzungen der weiteren Entwicklung der „Lage“ und ihre Rezepte für ein effektiveres Durchgreifen aus. Auf gut 2.000 schätzt Manfred Quentin, Polizeidirektor aus Nordrhein–Westfalen die Zahl der „Gewaltkriminellen“, die von Krawall zu Krawall durch die Bundesrepublik touren. Diese „Störer“, denen in der BRD 200.000 Polizisten gegenüberstehen, organisierten sich zum Leidwesen der Polizei immer besser, hätten „Krad–Melder“ und Funkaufklärung und formierten sich schon im Anmarsch zu Demonstrationsorten zu gewalttätigen Zügen. Leider ließe sich gegen die lästigen Motorradfahrer, die die polizeilichen Maßnahmen ausspionieren, kaum etwas unternehmen. „Sie sind häufig polizeilich nicht zu beanstanden, haben ordnungsgemäße Papiere und lassen sich kontrollieren“, beklagt sich Polizeidirektor Heinsen aus Itzehoe. Das eigentliche Kreuz aber ist das „Umfeld“, die „normale Be völkerung“, wie die Polizisten sagen. Seit Tschernobyl sei die Bereitschaft friedfertiger Demonstranten deutlich gestiegen, „Gewalttäter“ in der Menge zu decken oder ihnen gar Wurfgeschosse anzureichen. „Gewalttaten wurden aus der Demonstration mit Beifall bedacht“, beschwert sich Landespolizeidirektor Honka aus Hamburg und dehnt konsequenterweise seine Rechtsauffassung: „Unter Störern versteht das Gesetz auch die Personen, die Gewalttätern Schutz in der Menge bieten.“ Mit anderen Worten: Jeder, der einen Demonstranten mit einem verdächtigen Ei in der Hand nicht dem nächsten Polizisten überantwortet oder sich panikartig in einen Hauseingang flüchtet, soll selbst mit Verfolgung rechnen. Verdächtig machen sich auch Anwohner, die den Demonstranten „logistische Hilfe“ gewähren, wie der Bauer Reinders in Brokdorf: „Den Namen kennen Sie“, sagt Heinsen bedeutungsvoll. Verdächtig macht sich der Anmelder einer Demonstration, wie Lars Hennings, der sich von Gewaltanwendung auf der Brokdorf–Demonstration nicht überzeugend genug distanziert habe. „Er hat zwar gesagt, daß man die Gewalt nicht will.“ Aber er hat gleichzeitig „erkennen lassen, daß er sie zumindest billigt. Das war also die Person des Veranstalters, und dann kann man sich das Umfeld etwa auch vorstellen“, sinniert Polizeidirektor Heinz Hinz aus Kiel. Farbmarkierungen bis auf die Haut Verdächtig sind ebenfalls Gottesdienste, Konzerte oder Zeltlager, die in der Nähe einer Atomanlage abgehalten werden, wie in Wackersdorf. Sie sollen künftig grundsätzlich verboten werden, kündigt Ministerialrat Lenhard aus München an. Geschliffen werden soll auch der sogenannte „Feldherrenhügel“, eine Erhebung in der Nähe der WAA, die den Demonstranten Einblick in die Polizeiformation erlaubt. Parkplätze und Zufahrtswege für die „WAA–Touristen“ sollen gesperrt und Platz für die Wasserwerferstrahlen geschaffen werden, indem die Schneise zwischen Bauzaun und Wald in Wackersdorf von 15 auf 65 Meter verbreitert wird. Doch die Beseitigung von natürlichen Verstecken und taktischen Vorteilen nützen nichts, wenn die Davids mit ihren Steinschleudern immer wieder in einer sympathisierenden Menge untertauchen können. Der Schwerpunkt zukünftiger Polizeistrategien liegt deshalb weniger auf Objektschutz oder Raumdeckung als auf dem massenhaften und gleichzeitig gezielten Abgreifen von „Störern“. Sie sollen intensiv und lückenlos observiert und nach Möglichkeit „markiert“ werden, damit ihnen die Straftat später nachgewiesen werden kann. Der Versuch, den Demonstranten zu diesem Zweck Kletten ins Haar zu werfen, ist in Wackersdorf „wegen der Geländeverhältnisse“ fehlgeschlagen. Auch die Markierung mit Farbe hat bisher versagt, weil die Getroffenen in der „Kulisse“ untertauchen und die Kleidung austauschen. Lenhard wünscht sich deshalb eine Farbsubstanz, die so durchdringlich ist, daß sie durch die Kleidung dringt und auch die Unterwäsche und Haut mitmarkiert. Abschrecken durch Massenverhaftungen, das ist das „Neue Konzept“, das Quentin während der Tagung erläutert. Beweissicherung, Festnahme, Sammlung und Überführung der Gefangenen muß umfassend „effektiviert und formalisiert“ werden. Der Polizeidirektor aus Düsseldorf hat eine Reihe interessanter Verbesserungsvorschläge: z.B. numerierte Handschellen für Massenverhaftungen oder besonders ausgebildete Beamte, die Festgenommenensammelstellen organisieren und bei der Gelegenheit die polizeilichen Tatzeugen „auf ihr Auftreten in der Hauptverhandlung vorbereiten“. Der Verfahrensablauf bei den Verhaftungen soll in speziellen Seminaren an den Landeskriminalschulen eingeübt werden. Und wem gelten diese z.T. martialischen Vorbereitungen? Lenhard sagt es unverblümt: „Man wird alle greifen müssen, die hier in das Chaotenbild passen.“ Imma Harms

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