piwik no script img

Der Stadt vertraut, auf Gift gebaut

■ In der Giftsiedlung Dortmund Dorstfeld Süd blockieren Siedler die Sanierungsmaßnahmen der Stadt / Sie wollen ihre Eigenheime auf sauberem Boden ersetzt haben / Umsiedlung käme die Stadt teurer zu stehen als der geplante Bodenaustausch

Aus Dortmund C. Kawaters

Um drei Uhr mittags ist es in Dorstfeld feucht, kalt und windig. Von der Hauptstraße rechts ab geht es in „die Giftsiedlung“, wie der Mann an der Tankstelle das Neubaugebiet Dorstfeld Süd nennt. Es liegt neben und hinter einem gigantischen Hochhausblock, der „Hannibal“ genannt wird und von dem man in der Lokalpresse lesen kann, daß jeder, der hier einen neuen Mieter wirbt, drei Monate umsonst wohnen darf. Anfang 84 stellte sich heraus, daß das ganze Gelände durch Altlasten einer ehemaligen Kokerei, der Fa. Harpener Bergbau AG, hochgradig verseucht ist. (Die taz berichtete). Die Stadt erklärte nach Probebohrungen einen Teil des Gebiets zum „Kerngebiet“ und kaufte den Hauseigentümern den Besitz zu einem günstigen Preis ab. Die Bewohner des verbleibenden Randgebiets fürchten nun, mit zweifelhaften Sanierungsmaßnahmen abgespeist zu werden. Bürgerblockade Ihr Eigenheimgebiet beginnt hinter einer kleinen Brücke. Seit dem 22.9. versperrt hier ein Wohnwagen eine Bauzufahrt. „Wie lange müssen wir noch auf dem Gift wohnen? Auch das Randgebiet will weg“ steht auf Transparenten. Um einen Campingtisch herum in dicke Jacken und Mäntel gehüllt harren seit dem 22.9. die Siedler in Wechselschicht aus, - seit jenem Montag, an dem die Stadt mit dem Bodenaustausch beginnen wollte. „Demnächst soll ten hier 175 LKWs im 78–Minuten–Takt die verseuchte Erde wegkarren und andere holen,“ erklärt eine der Blockiererinnen. In Herrn Niestrojs Vorgarten beispielsweise hat die Stadt die Erde schon abtragen lassen, Stauden und andere Pflanzen ersetzt und Rollrasen gelegt. Schräg gegenüber von seinem Haus wurde ein Kinderspielplatz saniert, indem der Rasen und der Sand entfernt wurden. Unter der Kletterstange und der Rutsche ist der Boden mit einem neuartigen wetterbeständigen Weichkunststoff gepflastert. Drumherum gähnen die Fensterhöhlen der verlassenen Kerngebietshäuser. Entsorgungsversuche In einem der aufgekauften Häuser unterhält die Stadt ein Sanierungsbüro. Bauleiter dort ist Diplomingenieur Mühlberger. Sein Büro ist vollgesteckt mit Akten und Plänen des Gebiets. Die einzelnen Ergebnisse der Probebohrungen sind farbig darauf eingezeichnet. Herr Mühlberger kann die murrenden Bürger zwar ver stehen, aber unverkennbar schwingt Begeisterung für die gigantische Baustelle, die hier entsteht, in seiner Erklärung mit. 100.000 qm Freifläche beträgt das ganze Gelände. Die Sanierungskosten werden derzeit auf 20 Millionen DM beziffert, vorausgesetzt, die Bürger akzeptieren die von der Stadt angepeilte Regelung. Beim Verkauf der Häuser im Randgebiet zu gleichen Konditio nen wie im Kerngebiet müßte mit 88 Millionen Mark gerechnet werden - ohne die Sanierungskosten versteht sich. Angesichts eines solchen Finanzvolumens erscheint der Verwaltung die Methode, kleine Pflästerchen auf die größten Giftlöcher zu pappen, wohl besser realisierbar. Über Ausschreibungen wird der Sanierungskuchen verteilt. Eine Firma hat bereits den Zuschlag für Erdarbeiten über ein Volumen von 45.000 Kubikmeter bekommen. Weitere Ausschreibungen stehen bevor. Ein Team von 18 Mitarbeitern, davon sechs Chemiker, wird bald die Sanierungsmaßnahme organisieren. Der Boden ist so giftig, daß er teilweise nicht auf Hausmülldeponien gelagert werden darf. Dafür hat Dipl.–Ing. Mühlberger „schon die Exporterlaubnis nach Frankreich oder in die DDR vom Regierungspräsidenten erhalten“, wie er sagt. Die Chemiker sollen dann jede LKW–Ladung überprüfen und einer Endlagerstätte zuweisen. Neue Wege und neue Technologien kommen bei diesem Projekt in Einsatz: So soll ein Teil der Erde „thermisch behandelt“ werden. In einer mobilen Anlage wird sie auf 600 bis 800 Grad erhitzt und ist danach bis zu 99% sauber“, meint Mühlberger. Er beurteilt die Aktivitäten seiner Kollegen in der Stadtverwaltung erheblich anders als die zornigen Bürger, deren Blockadeaktion er von seinem Fenster aus gut beobachten kann, „die brüten da über dem Problem wie nix!“ Aber auf die Frage, ob er denn mit seiner Familie hierhin ziehen würde, muß er zugeben, daß das seiner Frau sicher nicht gefallen würde.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen