piwik no script img

Gewissens–TÜV

■ Zur möglichen KDV–Aberkennung für Nicaragua–Aufbauhelfer

Die Bürokratie rächt sich; alle Kriegsdienstverweigerer, die sich unter Berufung auf ihr Gewissen den Fängen der Militärs entwinden konnten, sollen ihm jetzt wieder ausgeliefert werden, „wenn sie erkennen lassen, daß sie die Gewaltlosigkeit nicht mehr anerkennen“. So fordert es ausgerechnet der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, der sehr wohl weiß, daß „Gewaltlosigkeit“ ein ebenso schwammiger Begriff ist wie „Gewissen“. Die Verweigerer werden ja gezwungen, vor deutschen Gerichten mit einem formalisierten Begriff von Gewissen zu operieren, wenn sie dem Krieg nicht dienen wollen. Das hat Degenhardt mit seinem legendären Song in brillanter Schärfe klar gemaht: „Ätsch, die Antwort ist aber falsch! Die richtige Antwort ist, Sie bitten die Herren, mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhören!“ Oder auf das aktuelle Beispiel abgewandelt: „Sie müssen schon in der Lage sein zuzusehen, wie die Contras ein ganzes Dorf oder Ihre Freunde umbringen!“ In meinen Augen ist es unterlassene Hilfeleistung und kein Zeichen von Gewaltlosigkeit, wenn sich jemand weigert, in einer konkreten Situation andere gegen Gewalt in Schutz zu nehmen, obwohl er die Möglichkeit dazu hat. Aber diese hinterhältige und zynische Interpretation des Gewaltbegriffs durch deutsche Gerichte ist ja hinlänglich bekannt. Neu ist der Anspruch der Gewissensprüfer, ihre auf fragwürdigen Erforschungen basierende Entscheidung nachträglich kontrollieren und revidieren zu dürfen - notfalls bis zur letzten Instanz. Ein solches Grundsatz–Urteil würde den Gewissens–TÜV für alle Kriegsdienstverweigerer bedeuten. Alle zwei Jahre werden sie mit einem Aktenauszug des Verfassungsschutzes konfrontiert: „Auf folgenden unfriedlich verlaufenen Demonstrationen gewesen: ..., folgende Äußerungen zum Krieg im Libanon gemacht: ..., den Führerschein gemacht...“. Die Gewissensprüfer bitten um Stellungnahme und frohlocken heimlich: Die werden wir schon kriegen, die „Politischen“, die nur so tun, als hätten sie ein Gewissen! Wie gesagt: Die Bürokratie rächt sich. Imma Harms

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen