Zweifel an Reagans Antikommunismus

■ Nach der Freilassung Daniloffs und der Bekanntgabe des Mini–Gipfels in Reykjavik ging ein Aufschrei durch die Schar der antisowjetischen Hardliner in den USA / Sie befürchten Konzessionen Reagans statt entschlossenem Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen

Aus Washington Stefan Schaaf

Einer ist sich schon ganz sicher, als Opfer auf dem Altar der Ost– West–Beziehungen geschlachtet worden zu sein: Lyndon LaRouche, der politische Exzentriker, in dessen Hauptquartier am Montagmorgen drei Hundertschaften FBI–Fahnder einrückten. Der Vorwurf gegen vier LaRouche– Organisationen lautet: massiver Spendenbetrug. Einen Tag darauf argwöhnte der rechtsextreme Möchtegern–Politiker öffentlich, man habe ihm die Polizei vor allem deswegen auf den Hals geschickt, weil Gorbatschow von Reagan verlangt habe, vor einem Gipfel den Kopf LaRouches „auf einem Silbertablett“ präsentiert zu bekommen. Zu einer solch kühnen Aussage bedarf es einer gehörigen Portion Größenwahns, denn Ronald Reagan hat zur Zeit, wenige Tage vor dem Zusammentreffen mit Michail Gorbatschow in Island, wahrlich andere Probleme im Kopf. Vier Wochen vor den Kongreßwahlen hat das Parlament nicht nur sein Veto gegen Südafrika–Sanktionen überstimmt, kamen außerdem peinliche Enthüllungen über schmutzige Tricks gegen Muammar Ghaddafi an die Öffentlichkeit, und vor allem fielen die außenpolitischen Falken über ihn her, als habe er mit seiner Entscheidung, nach Reykjavik zu fahren, bereits Florida an die Russen verschenkt. Mit der Versicherung, eher werde der Himmel herunterfallen, als daß er von seinem Antikommunismus abrücke, versuchte Reagan, den Sturm einzudämmen, der nach dem Austausch des US–Journalisten Daniloff gegen den sowjetischen Diplomaten Sacharow und den Menschenrechtler Juri Orlov losgebrochen war. Zu billig habe man die Sowjets davonkommen lassen, lautete die Kritik, und nicht ausreichend deutlich habe man ihnen gemacht, daß der eine ein Mann der freien Medien, der andere aber schlicht ein Spion gewesen sei, den man auf frischer Tat ertappt habe. Daß Orlov jetzt ein freier Mann ist, sei schon deswegen kein Grund zur Freude, weil Tausende seinesgleichen noch in sowjetischen Gulags schmachteten. Am weitesten ging der Sicherheitsberater des früheren Präsidenten Jimmy Carters, Zbig Brzezinski, der Reagan in der „Washington Post“ nichts weniger als eine verfehlte und regellose Außenpolitik vorwarf. Reagans Rüstungspolitik sei zu zögerlich, sein Widerstand gegen die sowjetische Okkupation Afghanistans nicht entschlossen genug. Brzezinski hatte in seinem geharnischten Elaborat auch gleich die passenden Rezepte gegen Reagans vermeintliche außenpolitische Malaise parat: weg mit dem ABM–Vertrag, verstärkte Unterstützung für die afghanischen Mudjaheddin, erste Schritte zu einer Stationierung von SDI–Kom ponenten, und wenn die Sandinisten weiter Ärger machen, müsse man gegen sie eben eine See– und Luftblockade verhängen. Die Gefahr sei zu groß, insistierten neben Brzezinski auch andere Kritiker des Mini–Gipfels, daß in Reykjavik vorschnelle Konzessionen gemacht würden, gar daß der Präsident sich Substantielles in Sachen SDI abhandeln lasse. Die sowjetische Seite hat ihre Prioritätenliste bereits wissen lassen: um verbesserte Beziehungen, um Rüstungskontrolle, chemische Waffen, vor allem um ein Moratorium auch bei den Nukleartests der USA geht es ihr. Doch die Chancen auf ein Einlenken Reagans in diesem Punkt sind gleich null. Außenminister Shultz machte am Sonntag abermals klar, daß die Drohung mit den atomaren Vernichtungskapazitäten der USA nur aufrechterhalten werden könne, wenn man diese auch teste. Außerdem sei die Stoßrichtung des sowjetischen Bemühens um einen Teststopp offensichtlich: man wolle die Entwicklung von Röntgenlasern, einer entscheidenden - und vor allem nuklearen - Komponente des „Star Wars“– Konzeptes, unmöglich machen. Bessere Chancen bestehen für weitere Fortschritte auf dem Gebiet der in Europa stationierten Mittelstreckenraketen. Sicher würde es als außerordentlicher Erfolg bezeichnet werden, wenn deren Zahl durch eine amerikanisch– sowjetische Übereinkunft auf hundert pro Seite reduziert würde, selbst wenn diese Anzahl nach wie vor für das mehrmalige Einäschern der Alten Welt ausreicht. Hundert scheint die Schamgrenze zu sein; jenseits dieser Größe würde der politische Kraftakt, mit dem die Nukleargeschosse gegen den Widerstand der europäischen Friedensbewegungen durchgesetzt wurden, zu nachhaltig entwertet. Doch bevor es zu schnellen Einigungen kommen könnte, wird schon kräftig an den Hürden gezimmert, die diese verhindern sollen. Er werde, so Reagan, Gorbatschow wegen sowjetischer Menschenrechtsverletzungen ebenso bedrängen wie wegen der inakzeptablen sowjetischen Interventionspolitik in Afghanistan, Zentralamerika, Afrika oder Südostasien. Und so wird heute ein Ronald Reagan in Reykjavik eintreffen, dem zwischen den Forderungen eines rebellischen Kongresses, der sich dieser Tage abermals mit dem exorbitanten Finanzbedarf des Pentagons herumschlägt und nur widerwillig die politische Forderung nach mehr Rüstungskontrolle bis nach dem Gipfel und den Novemberwahlen hintanstellte, und den Warnungen seiner politischen Spießgesellen, die die Machtposition der USA in Gefahr sehen, wenig Spielraum bleibt.