I N T E R V I E W Konstruktive Hilfe statt Abschiebung

■ Diese Forderung stellt in West–Beirut der deutsche Pastor Johannes Eisenberg angesichts der Situation der Flüchtlinge aus dem Libanon in der Bundesrepublik / Abschiebung bedeute existentielle und soziale Katastrophe für Rückkehrer

taz: Geben die politischen Verhandlungen der Bürgerkriegsparteien Anlaß zu neuer Hoffnung auf eine friedliche Zukunft im Libanon? Eisenberg: Leider wohl nicht. Schon zu häufig wurden solche Gespräche begonnen und landeten im Nichts, wenn nicht in katastrophalen Auseinandersetzungen. Diese Gespräche werden jedenfalls nicht die Auswanderungstendenz der Libanesen aufhalten. Trotz meines eindringlichen Abratens, gehen die Leute. Denn hier wird das Leben von Tag zu Tag schwieriger, für bestimmte Leute jed nach Deutschland. Wie sehen Sie die aktuelle Diskussion um das Asylrecht? Ich finde diese Diskussion äußerst unwürdig. Wir haben die historische und moralische Verpflichtung, den aufzunehmen, der Asyl begehrt. Ich finde es unmöglich, Menschen zuzumuten, ein, zwei, gar bis zu acht Jahren warten zulassen, bis ihnen gesagt wird: Du bist zwar seit Jahren hier, aber nun mußt du zurück. Das halte ich für eine Katastrophe. Hier haben die Menschen schließlich alles aufgegeben. Den Arbeitsplatz, die Wohnung. Die verwandtschaftlichen Fäden sind abgeschnitten. Einer Familie, die nach Jahren des Aufenthalts in deutschen Lagern in den Libanon zurückkommt, geht es ausgesprochen dreckig hier. Die Diskussion läuft aber in die Richtung, den Abschiebestopp aufzuheben. Es wird gesagt, es gäbe keinen Grund, aus dem Libanon zu fliehen. Die Realität des Libanon sehe ich noch keineswegs so, daß man alle aufnehmen müßte, die wegwollen. Ich schätze, daß um die 5 % der Auswanderungswilligen aus Libanon im Sinne des Artikels 16 GG politisch Verfolgte sind. Es gibt im Libanon aber Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende, die am Verhungern sind. Die politische Verfolgung im Sinne des Asylartikels trifft aber nur für Leute zu, die sich politisch profiliert haben. Palästinenser, aber auch parteigebundene Libanesen, die dann von der jeweils anderen Partei verfolgt werden. Und es gibt tausende von gekidnapten und verschwunden Christen und Moslems. Können die deutschen Gerichte und Behörden diese Umstände überhaupt angemessen beurteilen? Ich fürchte nicht. Allerdings muß ich sagen, daß die Ereignisse im Libanon schwer zu erfassen sind. Es ist wahnsinnig schwer, eine Struktur zu sehen, die zu diesem ganzen Chaos geführt hat. Denn kein deutsches Grundgesetz, keine Einzelgesetzgebung, kein Maßnahmenkatalog kann solchen Verhältnissen gerecht werden. Das scheint mir ein nicht aufzulösendes Dilemma. Unverantwortlich finde ich aber, Menschen zurückzuschicken, die längere Zeit in der Bundesrepublik waren, die dann in eine außerordentlich ungewisse, wenn nicht lebensbedrohliche Situation im Libanon kommen, die sie selbst gar nicht mehr einschätzen können. Können Sie eine Empfehlung geben, wie die Situation zu bewältigen ist? Zuallererst eine viel schnellere Behandlung der Anträge. Wenn die Leute aber schon lange in Deutschland sind, sollte man sagen: Es liegt auch an uns, wir haben euch so lange hängen lassen, jetzt kriegt ihr volle Bewegungsfreiheit und die Erlaubnis zu arbeiten. Dann müssen die Leute hier besser über die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland aufgeklärt werden. Und es könnte viel mehr an präventiver Hilfe an den Libanon geleistet werden. Nach 10 Jahren Bürgerkrieg ist das doch ein geschlagenes Land. Viele Menschen werden nicht ausreichend medizinisch versorgt, können hier nicht ordentlich geheilt werden. Denen kann in Deutschland geholfen werden. Man könnte großzügiger und gescheiter Stipendien vergeben an Leute, die hier nicht mehr die Schulen und Unis bezahlen können. Solche Maßnahmen erscheinen mir viel gescheiter als die Überlegungen: woher nehmen wir das Geld, um die Leute wieder loszuwerden. Zweifellos wird es aber in der nächsten Zeit massive Abschiebungen aus der Bundesrepublik geben. Das wird sich hier bei uns, einer sehr kleinen, aber eben der einzigen europäischen Gemeinde, die es in West–Beirut noch gibt, niederschlagen. Bislang haben wir in Einzelfällen noch helfen können, jedenfalls materiell. Psychologische Hilfe ist kaum zu leisten, Langzeithilfe sehr, sehr schwierig. Da müßte noch viel mehr getan werden. Damit sprechen Sie deutsche Politiker und Institutionen an? Selbstverständlich. Einen libanesischen Staat gibt es nicht. Die Parteien hier schaffen es ja nicht einmal, ihre Leute im Land zu halten und zu sagen: Wir brauchen euch für den Aufbau des Landes. Da sollten die Deutschen wenigstens eine Form der Verantwortlichkeit zeigen, wenn sie die Leute zurückschicken. Das Interview führte Petra Groll