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Mit Kerzen gegen das Island–Tief

■ „Annäherungen“ auf dem Vorgipfel von Reykjavik: „Sehen, wie weit man auseinander ist“

Noch am Samstagabend mußte US–Präsident Reagan auf Island ein Notausgabengesetz unterzeichnen, damit seine Regierung zumind entfernt. Sprecher der Sowjetunion konstatierten in Fragen der Rüstungsbegrenzung auf Expertenebene zwar eine Annäherung, man habe aber eher sehen wollen, wie weit man auseinander sei. Vor Ort kämpfte die taz–Korrespondentin unterdessen mit ihren Alpträumen.

Reykjavik (taz) - Für die Südwestküste Islands war ein weiterer Herbststurm angesagt. Ich hätte, wie auch sonst bei Stürmen, auf dem Boden der unteren Etage schlafen sollen anstatt im Giebel oben in der Luft. Aber es war so verführerisch schön bei denen da oben. Und prompt stellten sie sich ein, die sturmbedingten rasenden Alpträume. Reagan käme nicht nach Reykjavik, Journalisten stürzten mit ihren Geräten zu Hunderten ins Meer, ein Amokläufer verwechselte mich ständig mit anderen Figuren und jagte mich weit in die Absperrung des Konferenzgebäudes hinein. Dort jonglierten chinesische Kellner mit Sektgläsern. Heute morgen hat der Sturm sich gelegt. Alles ist beim alten. Nein, nicht ganz. Anders als sonst gibt es keine Zeit, nur noch „die Konferenz“, den Minigipfel, der sich ertragreich mausert. Den äußeren Ring um das Konferenzgebäude bilden zum Nordatlantik hin zwei isländische Küstenwachschiffe. Island unterhält kein Militär. Zu Land sind es fast 300 der freiwilligen See– und Bergrettungsgesellschaften, unbewaffnet. Störenfriede wollen sie, das geben sie zuversichtlich an, mit „menschlichen Mitteln“ fernhalten. Das würde ich gerne erleben. Im inneren Zirkel stehen isländische Polizisten, wie stets nur mit Protokollbuch und Schlagstock ausgerüstet. Ganz zuinnerst haben amerikanische und sowjetische Spezialisten den „Objektschutz“ übernommen, unter den Trenchcoats sind sie bis an die Zähne bewaffnet. Auf den Dächern der umliegenden, geräumten Bürohäuser wacht die isländische Spezialtruppe „Wikingereinheit“. Denen möchte ich nicht begegnen, keinerzeit. Eine Stunde lang ankert „Sirius“ mit 14köpfiger Besatzung draußen im Fjord, während die ersten Gespräche zwischen Reagan und Gorbatschow stattfinden. Erfreuliche Buntheit im Regengraupel, Wind, neben dem Grau der Küstenwachschiffe. Dann wird der „Greenpeace“–Besatzung das endgültige Einlaufen in Reykjavik verweigert, amerikanische und sowjetische Sicherheitskräfte hätten sich dagegegestellt, davon aber will die isländische Regierung nichts wissen, denn sie hatte von Anfang an entschieden, „Sirius“ kommt nicht in einen Hafen der Stadt. Es hat jetzt im Hafen des Nachbarstädtchens geankert. Frieden, Frieden Am Freitagabend haben sich neun isländische Friedensgruppen, halboffizielle wie kirchliche, aber auch unabhängige wie die „Militärgegner Islands“, eine alte, eher militante Gruppe, erstmals zu einer gemeinsamen Veranstaltung zusammengefunden. Das Wort Demonstration wird tunlichst vermieden, denn „dagegen“ sein will absolut niemand. Nur dafür. Für den Frieden. Deswegen kann auch der Landesbischof bei der Veranstaltung Gebete zum Himmel schicken. Kerzen treiben auf dem Stadtteich Reykjaviks. Erinnerung an Hiroschima; Appell an die Gäste der Stadt, Reagan und Gorbatschow; Symbol für uns, Signal für da oben. Seit ich einmal alle Opfer kerzen aus einer Eifelabtei abgeräumt habe, weiß ich, daß Kerzen überall und für jeden Zweck brennen - daß sie nicht ausreichen. Wie Gläubige scharen sich die Versammelten der Friedensveranstaltung zusammen. Für den guten Zweck wird vieles an den Rand gedrückt. Afghanistan und Mittelamerika sind Nebensache geworden. Daß Europa vermarktet, zerrissen wird und Island als Teil Europas am Ende auch noch, spielt kaum eine Rolle, Hauptsache, die da oben einigen sich. Ein Fackelzug brachte diese Bitte zu den Botschaften der Großen. Während das isländische „El Salvator–Komitee“ aus dem Pressezentrum für ausländische Journalisten rausgeworfen wurde, durfte nach anfänglichem peinlichen Hickhack „The National Conference of Soviet Jewry“ seine Veranstaltung gegen Ausreiseverbote für Juden in der UdSSR durchführen. Keiner will sich in Island nachsagen lassen, jüdische Organisationen geprellt zu haben. Geduldet sind die „US– Freeze“ und „Sane–Gruppen“, auch die „Frauen für ergebnisreiche Abrüstungsverhandlungen“. Sie machen Pressekonferenzen, überreichen Resolutionen, sammeln Unterschriften. Nur ganz wenige Transparente sind in der Luft, als Reagan und Gorbatschow nach der ersten Verhandlung in ihre Karossen steigen, keine Parolen, nur ein Lied: „We shall overcome...“ Der Minigipfel Island hat mit den beiden, die da verhandeln, seine Probleme, welche aber jetzt einmal hintanstehen müssen. Mit dem sowjetischen „Prodintorg“ schleppen sich die Verhandlungen über die Salzheringabnahme der Russen dahin. „Prodintorg“ bleibt weiter unter dem ausgehandelten 5–Jahres– Vertrag zurück, und doch ist die UdSSR Hauptabnehmer für isländischen Salzhering. Die Verkaufsgespräche sind abgebrochen worden, und ein weiterer Verhandlungstermin ist nicht in Sicht. Außerdem wurde die Abnahme von isländischen Wollerzeugnissen ebenfalls reduziert. Glimpfliche Regelungen dagegen hat Island mit den USA erzielt. Zuerst für den Walfang. Island hat durchgesetzt, für sogenannte wissenschaftliche Zwecke trotz internationalem Walfangverbot seine Quote mit 114 getöteten Tieren fast vollständig ausschöpfen zu können und darüberhinaus das Fleisch zu 49 Prozent nach Japan verkaufen zu dürfen, repressionsfrei, ganz legal und ordentlich. Island hat sich außerdem einen Happen, nämlich mindestens 35 Prozent, an den Transporten für die amerikanischen Truppen auf der NATO–Station Keflavik gesichert, nachdem der amerikanische Senat ein Gesetz von 1904 zur Anwendung brachte, das amerikanischen Frachtlinien den absoluten Vorrang einräumte. Doch Islands Probleme mit „seinen“ Großmächten ruhen im Moment. Wer irgendwie vernünftig ist, meidet den Regen draußen und braut sich Tee. Ab Dienstag, wenn die Welt wieder in die Gänge kommt, gehts dann weiter. Shultz wird nach Brüssel zur NATO fahren, und dort wird man hoffentlich blaß werden. Man wird sagen: „Na gut, rüsten wir eben ab.“ Gudrun Marie Hanneck–Klös

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