: Hebammen monieren Überlastung
■ Ausreichende Versorgung von Müttern und Säuglingen nicht mehr gewährleistet / Steigende Geburtenzahl und Elternansprüche stehen Planstellenknappheit gegenüber / Beschwerdebrief an Süßmuth unbeantwortet
Aus Bonn Tina Stadlmayer
„Ich bin nicht länger bereit, die Verantwortung für mehr als zwei Geburten gleichzeitig zu übernehmen“, schrieb eine Hamburger Hebamme an die Leitung ihrer Klinik. Die Antwort, die sie auf ihr Schreiben erhielt, fiel zynisch aus: Sie brauche sich keine Gedanken zu machen, falls bei einer Geburt etwas schiefgehe, seie sie haftpflichtversichert. Das ist nur eines von mehreren Beispielen, die Ursula Schroth, Präsidentin des Bundes Deutscher Hebammen, auf ihrer Bonner Pressekonferenz anführte. Die Versorgung der werdenden Mütter und ihrer Kinder in den Krankenhäusern drohe zusammenzubrechen. Wenn sich an der hoffnungslosen Überlastung der Hebammen nichts ändere, werde die Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik wieder ansteigen. Ursula Schroth berichtete aus ihrem eigenen Arbeitsalltag: „Nicht selten trete ich um sieben Uhr morgens an und verlasse das Krankenhaus erst zwanzig Stunden später, um drei Uhr nachts. In dieser Zeit führe ich mit meinen fünf Kolleginnen rund sechzehn Geburten durch.“ Ursula Schroth berichtet, daß in vielen Krankenhäusern die Stellen gestrichen werden und die Hebammen bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten müssen: „Ich kann doch nicht nach Hause gehen, wenn ich weiß, daß dann die Mütter unversorgt sind.“ Selbst die Arbeitsschutzbestimmungen aus dem Jahr 1924, die immer noch in Kraft sind und vorschreiben, daß 60 Stunden in der Woche nicht überschritten werden dürfen, werden häufig nicht eingehalten. Viele Hebammen machen unbezahlte Überstunden, und an einen Freizeitausgleich ist angesichts der fehlenden Stellen nicht zu denken. Für die Arbeitsüberlastung der Hebammen gibt es viele Gründe: Zum einen steigt die Zahl der Geburten seit etwa einem halben Jahr wieder an (zuvor ist sie zehn Jahre lang zurückgegangen). Und zum anderen sind die Mütter und Väter anspruchsvoller geworden. Sie fordern mehr Betreuung und mehr Beratung. Die Beruhigung durch Medikamente oder gar das künstliche Einleiten der Wehen wird von den meisten Eltern abglehnt. Ursula Schroth unterstützt diese Haltung, aber sie sagt auch: „Das bedeutet, daß wir mindestens 600 neue Planstellen brauchen.“ Auf einen Brief an Ministerin Süßmuth, in dem die Hebammen vor einem Monat auf ihr Anliegen aufmerksam machten, haben sie bis heute keine Antwort erhalten.
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