Begeisterungsstürme blieben aus

■ Grundsatzrede des neugewählten IGM–Chefs Steinkühler / „Kernenergie nicht beherrschbar“ / „Bedürfnisse des einzelnen“ sollen positiv aufgegriffen werden / Plädoyer für „neue Kultur der Gegenwehr“

Aus Hamburg Martin Kempe

Bemerkenswerte Auslassungen und einige neue Töne kennzeichneten die Grundsatzrede des neugewählten ersten Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Metall am Donnerstag morgen auf dem Hamburger Gewerkschaftstag der IGM. Nach den heftigen Turbulenzen um den Rücktritt des IGM–Tarifpolitikers Hans Janßen am Mittwoch fand Steinkühler mit seiner „Regierungserklärung“ keinen Draht zu den Delegierten. Der neue Vorsitzende wollte die auf dem Kongreß offenbar gewordenen innerorganisatorischen Konflikte offensichtlich durch Auslassung umgehen: Die Neue Heimat war ebensowenig Thema wie Betriebsbesetzungen, die Flexibilisierung wurde mit relativ dürren Worten abgefertigt. Die Fünf–Tage–Woche mit freiem Samstag und der Acht–Stunden– Tag gehören nun auch für Steinkühler zum eisernen Bestand gewerkschaftlicher Errungenschaf ten, die gegen jede unternehmerische Flexibilisierungsforderung geschützt werden sollen. Schwerpunkt seines Grundsatzreferats war die Auseinandersetzung der Gewerkschaften mit Chancen und Gefahren der technischen Umwälzungsprozesse. In diesem Zusammenhang traf er relativ eindeutige Aussagen zur Atomenergie: „Es gibt Techniken, die aus sich selbst heraus gefährlich sind“, und: „Heute ist Kernenergie für uns eine nicht–beherrschbare Technik.“ An die Betriebsräte in der Atomindustrie wandte er sich besonders: Wer wirklich die Interessen der Beschäftigten wahrnehmen wolle, müsse „vor allem offen sein für alle Vorschläge und Konzepte, die für einen realistischen Ausstieg vorgelegt werden“. Steinkühler skizzierte eine gewerkschaftliche Politik, die versucht, die Chancen neuer Techniken im Interesse der Beschäftigten zu nutzen, sich aber gegen die mit der technischen Umwälzung ver bunden Ausgrenzungsprozesse wendet. „Wenn wir unseren traditionellen Standort, Interessensvertreter aller Beschäftigungsgruppen zu sein, nicht verlassen wollen, müssen wir die Interessen der Rationalisierungsgewinner und der Rationalisierungsverlierer zum solidarischen Ausgleich bringen.“ Die IGM will „den Stahlarbeiter in Dortmund ebenso organisieren wie den promovierten Computeringenieur in München“ oder den Automobilarbeiter in Stuttgart. Sie wolle die „Bedürfnisse des einzelnen“ in Zukunft „positiv aufgreifen und sie in ein gewerkschaftliches Handlungskonzept einbringen“. Im Zusammenhang mit der anstehenden Auseinandersetzung um die 35–Stunden–Woche formulierte Steinkühler parteipolitische Offenheit: Er appelliere an „die heutigen Oppositionsparteien des Bundestages“, die IGM bei ihrem Kampf zu unterstützen. Die bloße Rücknahme des Paragraphen 116 AFG reiche nicht aus. Aussperrung müsse gesetzlich verboten werden. Auch wenn diese Forderung nicht erfüllt werde, sei die Gewerkschaft zum Kampf bereit. Dabei will die IG Metall offenbar mehr als bisher von anderen gesellschaftlichen Bewegungen lernen. Ausdrücklich nannte Steinkühler die „Friedens–, die Öko– und die Frauenbewegung“. Auch in den Gewerkschaften sei „eine neue Kultur der Gegenwehr in Ansätzen entwickelt“. Am Mittwoch hat die IG Metall nach längeren, von Vorstands– und Bezirkssitzungen ausgefüllten Pausen, die Technologieexpertin Karin Benz–Overhage als zweite Frau in den Geschäftsführenden Vorstand gewählt. Die Wahl war nötig geworden, weil durch den überraschenden Rücktritt Janßens ein Vorstandsstuhl zunächst vakant geblieben war. Die 44jährige Frau des ehemaligen Vorstandsmitglieds Georg Benz gilt als links–unabhängig und offen gegenüber außergewerkschaftlichen Strömungen.