: „Mit Geduld und Schlitzohrigkeit“
■ Gespräch mit dem hessischen Umwelt– und Energieminister Joschka Fischer (Die Grünen) über die Hanauer Nuklearbetriebe, den hessischen Gift– und Hausmüll und übers „Regieren“ an und für sich / Für die taz interviewten Klaus–Peter Klingelschmitt, Michael Miersch und Felix Kurz den Minister
taz: Joschka, kommen wir gleich ins Hanau–Gemenge. Das Geulen–Gutachten liegt vor, die Staatsanwaltschaft hat in Sachen ALKEM Anklage erhoben, angeblich existierende Genehmigungen konnten von Steger bisher nicht vorgelegt werden und auch die Staatsanwaltschaft ist bei ihren Ermittlungen auf keine Genehmigung gestoßen. Dennoch schreibt Dir Holger Börner einen Brief, in dem es heißt, daß dies alles keinen Anlaß zur Stillegung biete. Wie geht es denn nun weiter, im Hanau–Poker? Fischer: Also, ich bin von der Argumentation von Steger und Börner nicht überzeugt worden, denn inhaltlich habe ich von dieser Seite bisher nur wenig Konkretes gehört. Es wird sich die Frage nach der Genehmigungssituation stellen, und damit die Frage nach Recht und Gesetz, Legalität und Illegalität. Ich habe den Eindruck, daß gegenwärtig bei Hanau weniger Recht und Gesetz der Bezugsrahmen sind für Bonn und Wiesbaden, sondern mehr die Macht des Faktischen und die faktische Macht. Es gibt mächtige Kräfte, die immer noch glauben, diese Unternehmen halten und erhalten zu müssen. Daß wir hier überhaupt so weit gekommen sind, liegt an dem Bündnis zwischen Anti–Atom–Bewegung und dem Gesetz. Und auf dieser Linie werden wir weiter fortschreiten müssen. Denn den Glauben daran, daß es eine politisch bedingte, kurzfristige Stillegung geben wird, den halte ich für sehr naiv. Ich sehe gegenwärtig keine Kräftekonstellation, die das „hinbekommen“ könnte. Selbst wenn die Grünen 30 würde ich daran noch zweifeln, ob wir uns gegen Wallmann und die Bundesregierung, gegen die IG– Chemie und Siemens und KWU plus ihren publizistischen Helfern würden durchsetzen können. Aber die Fakten sind doch eindeutig. Ja, aber wir haben nicht die Kraft, die Mehrheit, die Hanauer Firmen stillzulegen. „Der Hanau–Block wird kräftige Risse bekommen“ Sagt jetzt auch Joschka Fischer, daß zunächst in Bonn das Atomgesetz geändert werden muß? Nein, das sagt Joschka Fischer nicht, und vor allen Dingen handelt er nicht so. Joschka Fischer handelt auf der Grundlage des geltenden Atomgesetzes. Tatsache ist, daß bisher noch nicht eine Ge nehmigung vorgewiesen wurde, die Errichtung und Betrieb dieser Anlagen, sei es nach Gewerbeordnung, Bundesimissionsschutzgesetz oder § 7 Atomgesetz, legitimieren und damit auch legalisieren würde. Also müßte doch stillgelegt werden. Selbstverständlich. Das ist ja unsere Forderung schon seit langem. Die Frage ist doch, wie wir eine Konstellation „hinbekommen“, daß das dann auch umgesetzt wird. Alleine mit der Forderung nach Stillegung kommt man nur bis zum Zaun. Und das wars dann gewesen. Wir müssen unseren Weg der Verbindung von Politik und Recht weitergehen, formal und materiell, auch unter Berücksichtigung der Einschränkung der Rechte Dritter. Was wäre denn jetzt der nächste Schritt? Steger sagt, daß es keinen Skalp für die Grünen geben wird; Börner blockiert und verweigert die Stillegung, du bist nach Recht und Gesetz vorgegangen ... Also, ihr seht das Problem sehr eingeschränkt, fast schon Steger– artig. Es geht doch nicht ums Skalpieren. Das machen wir gewaltfreien Grünen schon gar nicht, wenn wir absehen können, daß sich dieser Skalp als Toupet erweisen wird. Da kann es durchaus sein, daß der politische Wind dieses Toupet eines Tages furchtbar zum Verrutschen bringen wird. Man muß doch einmal vergleichen: Wie war der Stand der Dinge zu „Doppelvierer–Zeiten“ und wie ist er heute, nachdem wir fast ein Jahr in der Regierung sind, seitdem wir Zugang zu den Akten haben und seitdem wir über interne Vorgänge dort (in Hanau, die Red.) informiert werden - wenn auch mit Verzögerung. Das hat zwar an den Machtkonstellationen, die Hanau halten wollen, nicht viel verändert. Aber daß sich die Legitimationsprobleme des Hanau–Blocks vergrößert haben und daß sich vor allem die juristische Position derer, die Hanau wollen, verschlechtert hat und weiter verschlechtern wird, daran gibt es keine Zweifel. Der Hanau– Block wird kräftige Risse bekommen und sogar am einen oder am anderen Ende wegbröckeln. Das ist meine Hoffnung und dahin orientiere ich meine Politik. Zum Beipiel das Geulen–Gutachten ... Das Herr Börner für Schrott hält. Ich weiß nicht, ob ihm diese Äußerung eines Tages nicht noch sehr leid tun wird. Das war eine sehr unkluge Äußerung. Er hat seine Auffassung ja mit keinem inhaltlichen Satz begründen können. Sind wir dann aber nicht schon an dem entscheidenden Punkt angelangt, der eine Stillegung zwingend erforderlich macht? Nein. Wir sind erst bei einer Anklage angelangt. Der nächte Punkt ist die Frage, ob das Gericht den Prozeß eröffnet? Das wird eine unglaublich lange und zähe Auseinandersetzung, für die man Geduld und Schlitzohrigkeit braucht. Das alles läuft im Stile eines Schachspiels ab; da wird Zug auf Zug folgen. Die Stillegung in Hanau, die kann letztendlich nur ein Gericht oder ein Gesetzgeber rechtsfest machen. Aber gerade bei der ALKEM müßte doch auch politisch alles klar sein. Die SPD hat sich wiederholt gegen den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft ausgesprochen .. Wovor die SPD wahnsinnige Angst hat, ist, in die Zwickmühle zwischen Wallmann und den Grünen zu geraten. Daß versucht wird stillzulegen, bei ALKEM, und dann Wallmann kommt und sagt: Ich garantiere euch die Arbeitsplätze, ich garantiere Recht und Ordnung, ich garantiere den Fortbestand der Hanauer Nuklearbetriebe. Diese Zwickmühle fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Dann tritt nämlich der Bayern–Effekt ein. Damit kommen wir zu einem Grundproblem dieser Koalition: Die SPD ist eine Partei, die vierzig Jahre an der Regierung war, und damit eben auch vierzig Jahre lang die Verantwortung für das trug, was hier passierte. Wie kommt man mit einer solchen Partei in einen Prozeß der grundsätzlichen Umorientierung? Wir müssen mit einer Partei Politik machen, die Verantwortung für die Vergangenheit trägt und die Angst hat, in der grünen und der schwarzen Zange zerrieben zu werden. Die Parteitagsbeschlüsse der hessischen Grünen sind ja eindeutig. Noch in diesem Jahr, so die Forderung der Basis, soll der Einstieg in den Ausstieg in Hanau und in Biblis sichtbar werden. Nach dem heutigen Erkenntnisstand wird ja wohl dieses Jahr absolut nichts mehr passieren ... Ihr fragt immer nach Terminen. Diese Termine haben doch nicht wir gesetzt ... Ich kann nur sagen, daß eine Politik des Ultimatums eine Politik der Selbstfesselung ist. Und das weiß auch jeder Fundi und deshalb wollen die immer die Ultimaten. Ich habe nie die Politik des Ultimatums gefördert. Ob ich bei der vorhandenen Ausgangslage das Optimale gemacht habe, muß politisch beurteilt werden. Man muß dann sehen, ob das reicht, ob man diesen Weg weitergehen will. Oder ob der andere Weg - aus der Opposition heraus - der erfolgversprechendere ist. Politische Spielräume Kommen wir zu Biblis A. Wallmann hat die hessische Kommission als „Privatangelegenheit des Herrn Steger“ bezeichnet. Der Bundesumweltminister hat eine eigene „Expertenkommission“ benannt ... Das wird eine schöne Rollschuhkommission werden, die da durcheilt und dann sagt, alles ist bestens. Das ist ungefähr so, wie wenn man sich eine Pentagon– Kommission holt, die begutachten soll, daß es sich bei der Bundeswehr um die größte Friedensbewegung der Republik handelt. Die Stellungnahme von Wallmanns Staatssekretär ist Quatsch. Der Wirtschaftsminister als zuständiger Aufsichtsminister hat das Recht oder sogar - bei begründeten Zweifeln - die Pflicht, eine solche Kommission einzusetzen. Mich interessiert daran, wie eine solche Debatte um ein altes AKW, das ja den heutigen Sicherheitsstandards mit Sicherheit nicht mehr entspricht, aussieht. Wenn eine solche Debatte kontrovers zwischen hessischer Landesregierung - Landesregierung, nicht Fischer - und Wallmann geführt wird. Da möchte ich dann sehen, was dazu die hessische, vor allem die südhessische Bevölkerung sagt. Das wird eine ungeahnte politische Dynamik bekommen. Börner hat Dein Projekt Bio– Tonne gekippt, hat das Geulen– Gutachten öffentlich als „falsch“ gewertet und erklärt, daß die „unterschiedlichen Rechtsauffassungen“ zu den Hanauer Betrieben kein Grund für eine Stillegung sind. In der Öffentlichkeit kommt das so rüber: Der Fischer kann machen, was er will, wenn es den Sozis nicht paßt, wird es weggebügelt. Wie groß schätzt du Deinen Spielraum selbst ein ? Wir sind doch nicht angetreten und haben gesagt, mit unseren 5,9 Prozent können wir die Atomanlagen stillegen. Allerdings hätte man ganz anders diskutieren können, wenn das in Niedersachsen geklappt hätte und die schwarze Bundestagsmehrheit weggekegelt worden wäre. Die Spielräume in der Regierung sind relativ eng, weil man sich immer wieder am Beharrungsvermögen der SPD stößt. Aber es kann uns gelingen, in grundsätzlichen Strukturentscheidungen wirklich Neuland zu erschließen, z.B. eine neue Chemie– und Abfallpolitik. Konstruktive Kräche Magst Du eigentlich Deinen Staatssekretär Karl Kerschgens? Diese Gerüchte über den Staatssekretär. Daß er das Geulen–Gutachten herangeholt habe, daß er die Biblis–Kommission aushebeln wollte, das ist alles Quatsch. Diese Gerüchte kann nur einer ausgestreut haben, der etwas skurrile Ansichten, nicht nur über Hanau, sondern auch über dieses Haus hat. In Grünen–Kreisen kracht es oft. Man schreit sich an, aber dann geht es weiter. Die Zusammenarbeit ist gut und in der Sache gibt es keine Differenzen, im Gegenteil. Du hast mal gesagt, daß Du ganz bewußt eine Schritt–für– Schritt– Politik machen willst. Ist das denn nicht auch ein Zwang, der vom Verwaltungsapparat vorgegeben wird? Verwaltungen ändern sich langsam. Das rechtlich abgesicherte Beharrungsvermögen ist groß. Aber die Kooperation mit den Fachabteilungen ist im großen und ganzen gut. Natürlich gibt es Differenzen. Jemand, der 20 Jahre einer anderen Partei nahegestanden hat, wird nicht zum Grünen, weil der Minister wechselt. Aber auch wenn das ganze Haus voll kreativer Leute wäre, die ranklotzen wollen, steigt dadurch noch nicht die gesellschaftliche Durchsetzbarkeit. Wenn die überwiegende Mehrheit sozialdemokratisch regierter Kommunen etwas ablehnt, wie zum Beispiel die Bio–Tonne, wirst du ganz schnell wieder auf die 5,9 Prozent–Partei reduziert. Wenn du nicht die Akzeptanz von breiten Mehrheiten erreichst, dann geht gar nichts. Heißt das, daß jetzt auch Joschka Fischer den Weg des geringsten Widerstandes geht? Zum Beispiel bei der Standortwahl für die neuen Sondermüllverbrennungsanlagen und Mono–Deponien? Unsere Politik ist, verschiedene Standorte zu suchen, eine Vorauswahl zu treffen und dann nach ökologischen Kriterien die Standorte zu untersuchen. Wir wollen eine Politik der Zustimmungssicherung betreiben, indem wir alles offenlegen und versuchen den Leuten klarzumachen, daß sie von Anfang an beteiligt sind. Es stellt sich für Hessen in der Sonderabfallpolitik das Problem, daß wir zwei Dinge dringend brauchen: Ein greifendes Sonderabfallvermeidungskonzept und zum zweiten eine Reihe von Beseitigungsmöglichkeiten, die es gegenwärtig nicht gibt. Ein Industrieland wie Hessen kann es sich auf Dauer nicht leisten, im Giftmüllbereich ein gehobenes Müllkutschertum zu haben. Wir haben das Problem der Altlastensanierung, wo noch viel auf uns zukommen wird, wir brauchen Deponiekapazitäten für die Rauchgasreinigungsrückstände und Verbrennungsanlagen für die industriellen Klärschlämme, die mit der neuen Abwasserpolitik noch zunehmen werden. Dazu kommen noch ölverseuchte Böden bei Pintsch–Öl/Hanau und Caltex/Raunheim sowie die Altlasten aus den Munitionsfabriken aus dem zweiten Weltkrieg. Bleibt eine Frage: Wieso entwickelt Hessen nicht endlich einen neuen Forschungszweig an den Hochschulen, ein Institut für Abfallchemie und Abfallvermeidung? So etwas könnte denselben Standort wie die Sondermüllanlagen haben, damit Forschung und Anwendung zusammentreffen. Ein Zentrum für Abfallchemie, das auch strukturpolitisch interessant ist, weil es viele Arbeitsplätze bringt. Stichwort Vermeidungsstrategien. Wird die hessische Chemieindustrie da mitziehen? Die Gesprächskontakte sind im Moment sehr schwierig. Wir planen ja für das Frühjahr ein Symposium „Chemiestandort Hessen“, wo ein Dialog zwischen Ökologen und Industrievertretern stattfinden könnte. Wo die Leute mal aus den Schützengräben gelockt werden und eine sachliche Kontroverse führen könnten. Das ist bei der anderen Seite auf wenig Gegenliebe gestoßen, besonders nicht bei der IG–Chemie. Das Schlimme ist, daß in den Chemie– Konzernen das ganze know–how geballt ist. Aber die denken kaum daran, es für Abfallchemie und Abfallvermeidung einzusetzen. Also muß der Staat es selbst entwickeln und das Kenntnisdefizit aufholen. Es kommt darauf an, daß wir selber den Takt vorgeben und nicht immer nur an den Folgen herumkurieren.
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