piwik no script img

Was hat Manfred Wörner mit Kultur zu tun?

■ Beim deutsch–französischen „Kulturgipfel“ in Frankfurt war die „gesammelte Ignoranz“ der beiden Regierungen fast vollständig vertreten / Vom „Reichtum der Kultur“ bis zur Trägerrakete für TV–Satelliten reichte das Themenspektrum

Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Ob man vielleicht mit Kulturbeutel hätte erscheinen sollen - das blieb die einzige offene Frage der Journalisten, die am frühen Montagmorgen vor der Luxusherberge „Frankfurter Hof“ auf das Eintreffen von Francois Mitterrand und Jacques Chirac warteten. Ansonsten waren schon seit Tagen Hunderte von Kanaldeckeln zugeschweißt, Straßen abgesperrt, öffentliche Gebäude und Zugänge geschlossen worden, und letzte Zweifler brauchten nur zum Himmel zu blicken, wo beharrlich Hubschrauber kreisten: Der deutsch–französische „Kulturgipfel“ hatte begonnen. Fast vollständig rückten die Regierungen beider Staaten an, um die „kulturellen Beziehungen zu vertiefen“, ein Signal zu geben. Aber wie geht das? Und was hat Manfred Wörner mit Kultur zu tun? Genscher, Raimond, Kohl, Chirac, Mitterrand und von Weizsäcker fuhren jedenfalls in militärisch abgezirkelter Reihenfolge vor der Paulskirche vor, derweil das Volk in mäßiger Zahl, aber großem Abstand gaffte. Nur eine Handvoll Empörter rief „Helau“ und „Schwein“, als sie des franzö sischen Staatspräsidenten ansichtig wurde. Der aber richtete seinen Blick auf die Spitze der Paulskirche und konnte so auch das einzige Transparent nicht sehen, das „die versammelte Ignoranz“ grüßen ließ. Die „Grünen im Römer“ hatten einen Brief an Mitterrand gerichtet, in dem sie ein „öffentliches Gespräch“ vorschlugen, um vor allem über die zivile und militärische Atompolitik zu diskutieren. Sie erhielten keine Antwort. Während das „Ensemble Modern“ zu Beginn der Feierstunde zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde Frankfurts an Francois Mitterrand Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Welt“ intonierte, klickten unaufhörlich die Kameras der Fotoreporter - Kultur auch das. Ebenso wie die Rede des Frankfurter Oberbürgermeisters Brück, hör uff! d.s/in, die in einer buchhalterischen Auflistung dessen bestand, was irgendwie zum Thema gehörte: Mitterrand der Staatsmann, Europäer und Literat, Frankfurt, Goethe, Karolinger, Paulskirche und Demokratie. Schließlich auch der „schreckliche Irrweg“ 1933, „den uns Deutsche die Geschichte hat gehen lassen“. Überzeugter Modernisierer, der er ist, gelang Mitterand, dem „homme de lettres“, mühelos der Bogen vom „kulturellen Dialog“ zur europäischen Trägerrakete für TV–Satelliten. Sein Ziel: die Europäisierung der Bilder gegen den „Bildersturm“ aus den USA.“Das politische Klima zwischen Frankreich und Deutschland ist schlecht“, schrieb der Berufsversöhner Alfred Grosser vor dem Gipfel. Andere Franzosen stellten ein regelrechtes Wiederaufleben „chauvinistischer Tendenzen“ junger Deutschen gegenüber Frankreich fest, die im Zusammenhang mit den Reizworten „Tschernobyl“ und „Cattenom“ stehen. Es gibt die notorischen deutsch–französischen „Mißverständnisse“, die nicht mit der „Sprachbarriere“ und nicht mit Lyrik–Übersetzungen zu beseitigen sind; Ökologie– und Friedensbewegung auf der einen, „Greenpeace“–Attentat und atomare Gleichgültigkeit auf der anderen Seite. Der „Reichtum der Kultur“ jedenfalls, den der deutsch–französische „Koordinator“ Rainer Barzel angesichts von zwei Dutzend Gemälden des französischen Barock zitierte, die der Pariser „Louvre“ kurzfristig dem Frankfurter „Städel“–Museum ausgeliehen hatte, ist bestimmt keine Grundlage des kulturellen Austausch. Genauso bedeutungslos wie die Vereinbarungen über den erweiterten Austausch von Praktikantenplätzen, Studienmöglichkeiten und mehr Sprachunterricht oder die Einrichtung des „Hohen Rates“ für Kulturangelegenheiten. Das Akzeptieren und Verstehenwollen des Fremden wäre erste Voraussetzung dafür zu wissen, was „Kulturaustausch“ überhaupt sein könnte. Der „Gala–Abend“, den Bundeskanzler Kohl und Frau Hannelore am Montag abend in der glanzvoll wiederaufgebauten „Alten Oper“ gaben, ließ das „Programm“ des Staatsgipfels deutlich werden. Nachdem die Marseillaise und das Deutschlandlied stehend absolviert waren und der Smoking schon nicht mehr wie zu Anfang zwickte, begann die in deutsch–französischer Kooperation aufgeführte Oper „Werther“ von Jules Massenet, ein erbauliches, romantisch–naturalistisches Singspiel, dessen Dramaturgie auch die hervorragenden Sänger und Sängerinnen nicht mehr retten konnten. Am Ende stirbt Werther von eigener Hand, aber versöhnt in den Armen seiner Charlotte, die ihm zu guter Letzt doch noch ihre Liebe gestanden hat. Goethe hatte den armen Werther einsam und verlassen in den Tod geschickt.Nicht einmal für eine unglückliche Liebe reicht es zwischen Frankreich und Deutschland - „Versöhnung“ soll es sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen