Zwei Sologeiger beim Adagio

■ EM–Qualifikation: DDR - Island 2:0 / Mühsame Planerfüllung gegen einen „Fußballzwerg“

Karl–Marx–Stadt (taz) - Ein Gespenst ging um in Karl–Marx– Stadt, das Gespenst der erneuten Erfolglosigkeit in einer Ausscheidungsrunde. Kein Wunder, denn während den hiesigen Kickern in der Ära Schön/Derwall das Losglück eine Turnierteilnahme stets leicht gestattete, fand sich die DDR zumeist in üblen Gruppen. So auch diesmal: Frankreich, UdSSR, Island und Norwegen sind die Kontrahenten, und nur eine Mannschaft kann 1988 zur Europameisterschaft in die BRD. Deshalb brauchte man zur Planerfüllung einen Heimerfolg gegen die Isländer, deren Charakterisierung in der Fachzeitung „Deutsches Sportecho“ von hohem Re spekt zeugte: „In die Weltliteratur ist manch Romanheld der Vulkaninsel Island eingegangen. Das harte, karge Leben des nur in den Niederungen bewohnbaren Eilands hat sie geprägt. Sie und ihre Nachfahren.“ Außerdem hatten sie einen nordischen Wettergott im Gepäck. Es nieselte den ganzen Tag in jener Stadt, die früher gern das „sächsische Manchester“ genannt wurde und schon im 13. Jahrhundert als Industriestadt berühmt war. „Die Tourismus–Saison ist vorbei“, wehrt die Dame im Touristen–Informationsbüro alle Wünsche nach Information entschieden ab, und das triste Bild der Innenstadt, die vom 2. Weltkrieg kahlgefegt und danach als architektonisches Scheusal wiedererrichtet worden war, gibt ihr unumwunden recht. Selbst die gigantische Büste jenes Mannes, der die Stadt jüngst ihres angestammten Namens „Chemnitz“ beraubt hatte, erschauert angesichts des vom Himmel niederstürzenden Dauerregens und der klammen Kälte, die unter die Haut geht und sich von dort auch durch einen „Cafe complett“ im neuen „Cafe Brühl“ nicht vertreiben läßt. Dennoch machen sich 18.000 Bürger auf, um im Ernst–Thälmann–Stadion zu erleben, wie sich der DDR–Fußball mit der hervorstechendsten Tugend des Stadionpatrons, der Kampfkraft, gegen elf isländische Knorzen zu behaupten sucht. An „heiße und leidenschaftliche Kämpfe“ gegen die Isländer entsinnt sich Hansi Kreische, der Netzer des Ostens, und so gab Teamchef Bernd Stange folgerichtig die Devise „Dampf machen“ aus. Und weil zweifelhaft war, ob sich Menschen, die sozusagen mit dem Geysir aufgewachsen sind, davon würden beeindrucken lassen, bestellte Trainer Harald Irmscher, der Köppel des Ostens, bei den Spielern zum Dauerdruck noch den „Rhythmuswechsel“. Der Wunsch nach verschiedenen Tempi wurde erfüllt. Es begann ohne großes Vorspiel mit einem Fortissimo, welches Andreas Thom in der 4. Minute mit einem Paukenschlag abschloß: nach einem weiten Befreiungsschlag enteilte der flinke Stürmer sämtlichen Abwehrspielern und bugsierte den auf dem nassen Rasen dahinglitschenden Ball zum 1:0 ins Toreck. Es folgte nun programmgemäß ein Adagio; es dauerte und dauerte, doch die Beschleunigung blieb aus; allenfalls ein Wechsel zum Adagio confuso ließ sich feststellen. Aus den beiden stümpernden Ensembles ragten zwei Sologeiger: die Angreifer Thom, der eine „internationale Klasseleistung“ (Stange) bot, und Arnor Gudjohnsen vom RSC Anderlecht. Zunächst schien es, als könnten die DDR–Spieler wenigstens ab und an zu flüssigem Kobinationsspiel finden, doch die Ansätze wurden von den Isländern kräftig gebremst, häufig mit Hilfe des gestreckten Beines (Primus inter pares der Uerdinger Edvaldsson), eine unter Fußballern als besonders unehrenhaft geltende Weise der Verletzung von Regel und Gegner, die Mittelfeldlenker Liebers bewog, es von fern mit der brachialen Methode zu versuchen: links– wie rechtsbeinig drosch er aufs Leder, aus 30 Metern oder mehr, ohne Torwart Sigurdsson damit zu erschrecken. Genosse Rainer Ernst, der Augenthaler des Ostens, spielte seinen Part in der Spielaufbaubrigade wie gewohnt. Schon beim Vorlesen der Aufstellung wurde der unbeliebteste Spieler seines Landes ausgepfiffen und verfiel sofort in Lethargie, ja zeitweise in kataleptischen Tiefschlaf, aus dem er erst bei seiner Auswechslung in der 84. Minute erwachte. Sechs Minuten später wirbelte Thom einmal mehr durch die isländische Abwehr, sein Zuspiel verwandelte Kirsten zum 2:0–Endstand. Islands Trainer Held, der Derwall des Nordens, betrauerte anschließend heftig das Fehlen von Asgeir Sigurvinsson, den eine Grippe plagte. Sein Vertreter Ormslev wies zwar eine ähnliche Nackenhaartolle auf, mußte aber einsehen, daß der gleiche Friseur noch längst nicht zum selben Ballgefühl verhilft. Thömmes/Matti UdSSR - Norwegen 4:0