piwik no script img

„Keine Einweg–, sondern Recycling–Flaschen“

■ Umweltminister diskutierten in Berlin über Abfallgesetz und Recycling / Fischer klagt über mangelnde Landeskompetenz / Töpfer (CDU) setzt beim Giftmüll auf „Allparteien–Koalition“ / Für alle bleibt DDR Müllschlucker Nr. 1

Aus Berlin Imma Harms

Zur Dekoration der Podiumsdiskussion am Freitag nachmittag im Berliner Kongreßzentrum hätte man sich eine riesige überquellende Mülltonne vorstellen können. Doch es blieb dem hessischen Umweltminister Fischer (Grüne) vorbehalten, sich und seine Kollegen als die „Schmuddelkinder der Nation“ zu bezeichnen, die gegen die wachsenden Abfallberge zu kämpfen haben. Nichts deutete auf das „schmutzige Geschäft“ der Herren in den dunklen Anzügen hin, die sich nach dem zweitägigen Recycling–Kongreß versammelt hatten, um den Ausführungen von vier Umweltpolitikern zur „Zukunft der Abfallwirtschaft“ zu lauschen. Von den drei Programmpunkten des seit dem 1. November geltenden neuen Abfallgesetzes „Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung“ interessierte sie hauptsächlich die beiden letzten Anliegen, denn nur mit ihnen lassen sich Geschäfte machen. Hier setzte auch die Kritik an. Liesel Hartenstein, umweltpolitische Sprecherin der SPD–Bundestagsfraktion, bemängelte, daß das Gesetz keine Priorität von Vermeidung, Verwertung und Beseitigung festlege. Vor allem der umstrittene Paragraph 14, der die Abfallverminderung zum Gegenstand hat, stütze sich einzig auf unverbindliche Absprachen mit der Verpackungsindustrie. Was das bringe, sei ja hinlänglich bekannt. Die Zahl der Einwegflaschen beim Bier sei zum Beispiel von 1974 bis 1985 von zwei Milliarden auf acht Milliarden pro Jahr gestiegen, mit weiter wachsender Tendenz. Joschka Fischer fühlte sich durch das neue Gesetz, das von der Bundesebene gleich zur Durchführung auf kommunaler Ebene durchschaltet, in seiner müllvermeidenden Landespolitik weitgehend ausgehebelt. Flächendeckende Maßnahmen wie etwa sein Getrennt–Sammel–Programm seien nicht mehr möglich. Geschickt rollte er den ideologischen Ball der CDU über das Podium, indem er darauf verwies, daß eine wesentliche Abfallverminderung nur durch dirigistische Maßnahmen des Staates zu erreichen seien, die im gegenwärtigen „politischen Klima des Aufbruchs eines neuen Unternehmertums“ doch keiner wolle. In dem Preiskrieg der Altpapierhändler bleibe dem Staat nichts anderes übrig, als sich selbst zum Unternehmer aufzuschwingen und das Geschäft an sich zu ziehen. Auch in bezug auf den Giftmüll sei das Gesetz eher ein Eigentor, wenn es sich darauf beschränke, das Verursacherprinzip hochzuhalten. „Wenn irgendwo Gift auftaucht, dann ist der Verantwortliche entweder tot oder schon im Gefängnis oder im Ausland.“ Fischer forderte eine generelle Abfall–Abgabe von der chemischen Industrie, um solche nicht beim Verursacher einzuklagende Schäden beseitigen zu können. Der rheinland–pfälzische Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) beschwor angesichts des Giftmülls eine Allparteien–Koalition. „Wenn unsere Nachbarn die Grenzen dichtmachen, dann haben wir hier einen Giftmüll–Notstand.“ Das sei nun weiß Gott kein Thema für den Wahlkampf. Der Berliner Umweltsenator Jürgen Starnick hat sein Müllproblem für die nähere Zukunft geregelt, seit mit der DDR ein Abommen über die Errichtung einer Sondermüll– Verbrennungsanlage für das West–Berliner Gift unterzeichnet wurde. Er machte auch keinen Hehl daraus, warum die Verbrennungsanlage jenseits der Mauer errichtet werden soll: „Weil es sich da schneller durchsetzen läßt.“ Süffisante Zwischenbemerkung von Fischer: „Für solche Zwecke ist Ihnen eine Diktatur sehr willkommen, nicht wahr?“ Starnick konterte: „Bei Westwind haben wir im Westteil der Stadt vermutlich sogar das größere Problem mit den Abgasen aus der Anlage.“ Doch auch Fischer wird mit seinem hessischen Giftmüll noch einige Zeit nicht ohne den Weg des geringsten Widerstandes nach Schönberg auskommen; dafür fordert er Verhandlungen mit der DDR–Führung, die Deponie in Schönberg sicherer zu machen. Über die Giftmüll–Diskussion geriet der gesamte, stetig wachsende Müllberg wieder in Vergessenheit. Die Zuhörer kamen mit der Frage, welche Erfahrungen mit den Bemühungen um Abfallvermeidung bisher vorlägen, darauf zurück. Einhelliges betretenes Schweigen war die Antwort des Podiums. Das liefe über die langfristige beharrliche Überzeugungssarbeit am individuellen Verbraucherverhalten, stellte Töpfer lakonisch fest. Fazit: Jeder fängt bei sich selbst an. Auch die Politiker? Ein Zuhörer wollte wissen, warum die Podiums–Teilnehmer, für alle deutlich sichtbar, aus Einweg– und nicht aus Pfandflaschen tränken. Diskussionsleiter Prof. Thome–Kozmiensky hatte die Erklärung: „Das sind keine Einweg–Flaschen, das sind Recycling–Flaschen!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen