: Für den Frieden durch Stadt und Land
■ Am 1. März 1986 begann der große Friedensmarsch quer durch die USA / Teilnehmer aus zwölf Ländern demonstrierten „gegen Krieg und für Frieden“ / Knapp 200 von den ursprünglich 1.000 nahmen an den Kundgebungen in New York teil
Aus New York Ute Büsing
„Darauf hab ich lange gewartet. Wir müssen jetzt einfach Verantwortung übernehmen. Ich hab mich noch nie zuvor engagiert“, erklärt John G. Mento aus Honolulu im US–Bundesstaat Hawaii. „The Great Peace March“ hat den 34 jährigen zum erstenmal auf die Straße getrieben. Für globale Abrüstung ist er nicht einmal mal bei einer Demo mitgelaufen, sondern hat neun Monate lang, Tag für Tag am „Großen Friedensmarsch“ teilgenommen, einmal quer durch die USA, 3.500 Meilen durch 15 Staaten, „from sea to shining sea“. Am 1. März 1986 waren über 1.000 Menschen von Los Angeles aus aufgebrochen, „weltweite nukleare Abrüstung“ auf ihren Bannern und Zelte im Marschgepäck. Nur elf Tage später, in der unwirtlichen Mojave Wüste, schien „The Great Peace March“ bereits endgültig zu Ende. „Pro Peace“, die Sponsororganisation, hatte bankrott gemacht. Hunderte verließen fluchtartig den Wüstensand. John Mento und mit ihm etwa 400 Friedensbewegte jedoch harrten aus, diskutierten, sangen und beteten wie weiland die Medizinmänner zum (Geld–)Regengott.Der kam in Gestalt des „Peace Development Fund“ von Massachusetts mit 10.000 Dollar Zuschuß. Schauspieler Paul Newman spendete 25.000 Dollar, Lennon–Witwe Yoko Ono gab dem Frieden mit 10.000 Dollar nochmal ne Chance. Es konnte weitergehen. „Wir sind eine echte Graswurzelbewegung“, befindet Marschierer Mento bei einer der vielen Kundgebungen in New York, mit denen die Friedenskarawane Ende Oktober den Marsch quer durchs Land feierte. Auch diese Ralley könnte typisch gewesen sein. Die Herbstsonne lachte aus blauem Himmel auf die knappe Zweihundertschaft braungebrannter Altfreaks, Späthippies und wettergegerbte Großmütter mit schlohweißem Haar. Nahe den Vereinten Nationen - man beging den „Tag der UNO“ und das „Internationale Jahr des Friedens“ - tanzte ein buntes, überwiegend weißes, Völkchen zu netten musikalisch unbedarften wie politisch unverfänglichen Friedensliedchen. Man hatte sich die von Graffiti– Millionär Keith Haring entworfenen bunten Peace March Buttons angesteckt. Irgendwo im Wind wehten die Forderungen des großen Marsches „für einen Atomwaffenteststop–Vertrag zwischen USA und UdSSR“, gegen „StarWars“, „für ein atomwaffenfreies Europa“, „gegen den nuklearen Erstschlag“, „für intensive Verhandlungen zwischen den Supermächten“... Den 60 New Yorker Marschierern lagen außerdem die atomgeladenen Schiffe am Herzen, die im Heimathafen vor Anker gehen sollen. Auf dem Lautsprecherwagen saß ein Symbol für die unterdrückte Minderheit der amerikanischen Indianer mit Zopfhaar, Federschmuck und Fahne. Ein echter Indianer? Echt war ganz der der „Junge“ aus Südafrika, der eine Rede halten durfte, weil dort auch Krieg ist. Er war angekündigt als „South african boy - children of war“ und sprach davon, wie „wunderschön“ es ist, für den „Traum vom Frieden zu arbeiten“. Geldgeberin Yoko Ono verfiel bei einem ihrer raren öffentlichen Auftritte dem Sixties–Duktus des „I love you“ und sah die kleine Masse ansonsten an der „Wasserscheide eines neuen Zeitalters“, dem der „Weisheit“ nämlich: „Gemeinsam werden wir es schaffen.“ Kernphysiker Michio Kaku zählte bereits 5.000 Wissenschaftler im ganzen Land (USA), die niemals beim Krieg der Sterne mitforschen wollen. Der „klappt sowieso nicht“. Nebenbei warb Forscher Kaku, dessen Familie Hiroshima überlebt hat, für sein neuestes Buch. Und dann kam Jesse. Der schwarze Bürgerrechtler und ex– demokratische Präsidentschaftskandidaturbewerber Jesse Jackson wertete den kleinen großen Marsch flott als „Erfolg“ und posaunte seine mediengerechten Baptistenpfarrerreime ins Volk. „Wir wollen vollentwickelte Persönlichkeiten und nicht zielgerichtete Raketen.“ Oder: „Wir können es nicht zulassen, daß das Wettrüsten (arms race) die Menschheit (human race) vernichtet.“ Schöne Wortspiele. Aus dem Gebetbuch. Typisch Jesse. (die Einschätzung der Hegemoniefähigkeit von Protestformen anderer Kulturen war noch nie eine Stärke der europäischen (deutschen) „Linken“ ,d.Korr) Das bunte weiße Völkchen tanzte schon wieder, als Jackson historische Widerstands–Parallelen zog. Von Rosa Parks Aufstand durch Sitzenbleiben beim „Montgomery Busboykott“ 1956 (Mitauslöser der schwarzen Bürgerrechtsbewegung), über die Vietnam–Krieg–Protestierer in den Sixties bis zum „großen Friedensmarsch“. Immer seien „Aufrechte“ dem „Ruf ihrer Zeit“ gefolgt. Gegen das „Minderheiten– Gespräch“ in Reykjavik, einen „Ost–West–Konflikt“, der „nicht alles ist, aber alles bedroht“, setzte Jackson die „neue Mehrheit“ der Friedensbewegten aller Länder. Seine „Regenbogenkoalition“, „Samenkörner“, die irgendwann mal „Früchte tragen“, so Jackson, sind beim Karawanenzug durch US–amerikanische Dörfer und Städte gesät worden. „Wir waren das große Ereignis in abgelegenen Kleinstädten, die noch nie vorher was von der Friedensbewegung gehört haben“, berichtet eine 52 jährige Großmutter. Die Hauptstraße von Auckland in Neuseeland war ihr für Friedensdemos zu klein geworden. So flog sie auf eigene Kosten in die Staaten, um im Kernland der Supermacht mit internationalen Brigadisten aus zwölf Ländern für den großen Frieden zu marschieren. Seite an Seite mit John Mento, der beim Marsch durch Wüsten und Wolkenkratzerstädte zum erstenMal, wie er sagt, „Verantwortung übernommen“ hat. „Wenn wir uns nicht bewegen, tun die Politiker nie was“, sagt er. Am 15. November trifft die Friedenskarawane zu den Abschlußfeierlichkeiten in der Bundeshauptstadt Washington ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen