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Ein wahrer Reigen von Gegenveranstaltungen

■ Rund um die Wiener KSZE–Konferenz fanden sich zahlreiche Organisationen ein, um ihre jeweilige Sache zu vertreten / Die prominenteren Kritiker diskutierten in überfüllten Sälen, andere froren draußen mit Fotos ihrer Verwandten vor der Brust

Aus Wien Reinhard Engel

Es war ein denkbar ungleiches Paar, das da an der Saalwand im Wiener Presseklub Concordia lehnte: Neben dem baumlangen österreichischen Hocharistokraten Karl von Schwarzenberg im makellosen Maßanzug stand klein, unsicher und mit zerfurchtem Gesicht Wladimir Magarik, um den Hals eine Erinnerungs– medaille für einen Marathonlauf, an dem er kurz zuvor in New York teilgenommen hatte. Magarik ist ein jüdischer Emigrant aus der Sowjetunion und lebt heute in Israel. Sowohl seine Schinderei als auch der Auftritt bei der Pressekonferenz in Wien dient demselben Zweck: Er will seinen Sohn aus einem sowjetischen Gefängnis freibekommen. Dieser sitzt wegen illegalen Drogenbesitzes ein, nach Meinung seines Vaters lediglich ein Vorwand, um dem hebräisch–Lehrer sein Judentum auszutreiben. Schwarzenberg hatte als Präsident der internationalen Helsinki– Föderation für Menschenrechte die internationalen Medien eingeladen. Die Organisation, die ihren Hauptsitz in Wien hat, präsentierte Berichte über Verletzungen der Schlußakte von Helsinki - nur wenige hundert Meter von der Hofburg entfernt, wo die Delegationen aus 35 Ländern seit Dienstag dieser Woche das dritte KSZE– Nachfolgetreffen bestreiten. Die Berichte der Föderation teilten auch ordentlich aus: Die Sowjetunion, Ungarn, die Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien, die DDR, Polen sowie Jugoslawien und die Türkei wurde der verschiedensten Menschenrechtsverletzungen angeklagt. Rund um die Hofburg findet in diesen Tagen ein wahrer Reigen von Gegenveranstaltungen zum Diplomatentreffen statt. Zuerst riefen jüdische Organisationen die internationalen Medien ins Gemeindezentrum, um über die schlechte Lage ihrer Glaubensgenossen in der Sowjetunion zu berichten. Dann stellte die „Resistance Internationale“ im Messepalast einzelnen westlichen Gruppen Dutzende Kojen zur Verfügung, in denen diese ihre Sache darstellen können. Da finden sich die Letten, Balten und Littauer neben Vertretern der Solidarnosc, Pen–Club–Funktionäre neben der Helsinki–Group of Finland, Russia Christiana aus Italien beim Mouvement de Liberation Bulgare. In mehreren Diskussionen gings auch hitzig her: Etwa wenn der vor zehn Jahren gegen einen chilenischen Politiker ausgetauschte Schriftsteller Wladimir Bukowski für ein „Drohen mit dem Abbruch des Helsinki–Prozesses“ argumentierte, weil sich die Lage der Menschenrechte seit 1975 „deutlich verschlechtert“ habe. Ihm hielten sowohl der erst kürzlich emigrierte Juri Orlow als auch die Vertreterin der Solidarnosc entgegen, Helsinki gebe ihnen zumindest eine kleine Möglichkeit, Rechte einzufordern. Daniel Cohn–Bendit erntete Buhrufe, als er Ronald Reagan als „Agenten des KGB in Mittelamerika“ bezeichnete, die Zustimmung der meisten Zuhörer war ihm wieder sicher, als er die Schwierigkeiten der Linken ansprach, die Sowjetunion zu kritisieren, aber: „Die Freiheit ist unteilbar.“ Während die prominenteren KSZE–Kritiker in überfüllten Sälen mit der internationalen Presse palaverten, froren andere im eisigen Wind vor dem Konferenzzentrum mit Fotos ihrer Verwandten vor der Brust, drängten sich - von den österreichischen Sicherheitsbeamten diskret, aber genau beobachtet - an die Delegationsmitglieder heran und stellten zu ihrem Erstaunen fest, daß man ihnen erstmals zuhörte. Bis jetzt waren etwa jüdische Bittsteller von sowjetischen Delegationen stets ignoriert worden. Nun hören ihnen diese erstmals zu, verwickeln sie in längere Gespräche, sichern rasche Behandlung der Fälle zu. An den Wienern geht das hektische Treiben vorbei. Passanten wundern sich lediglich, daß ein Fiaker–Gespann zum Transparent–Träger wird, daß buddhistische Mönche monoton für den Frieden trommeln, daß armselig aussehende, laut russisch schnatternde Menschen so wenig Respekt vor den „Hohen Herren“ zeigen. Der Kongreß hat mit ihrem Leben nichts zu tun. Und auch der „Dialog über die Grenzen von Staaten und Systemen hinweg“, den Kanzler Franz Vranitzky in der Eröffnungsrede angesprochen hatte, geht bei seinen Bürgern deutlich ins Leere. Die großen Provinzzeitungen hatten sich nicht einmal für die offizielle Konferenz akkreditieren lassen.

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