: P O R T R A I T Carlos Fonseca, Theoretiker der Sandinistischen Revolution
■ Heute ist der zehnte Todestag von Carlos Fonseca, dem Gründer und Vordenker der FSLN / Er ist zum Symbol der Einheit der FSLN geworden
Aus Managua Ralf Leonhard
Managua feiert heute das 25jährige Bestehen der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) und den zehnten Todestag des FSLN–Gründers und Theoretikers Carlos Fonseca Amador. Der erste Guerillaführer Nicaraguas, General Augusto C. Sandino, Opfer einer heimtückischen Verschwörung, lag bereits zwei Jahre unter der Erde, als Carlos Fonseca 1936 geboren wurde. Früh wurde das politische Bewußtsein des kränklichen, kurzsichtigen Intellektuellen Carlos geweckt - spätestens als 1954 in Guatemala die demokratisch gewählte Reformregierung unter Jacobo Arbenz in einer CIA–dirigierten Invasion gestürzt wurde. Er verschlang alles, was die armseligen Buchgeschäfte Nicaraguas an politischer Literatur zu bieten hatten, und kam über Freunde sogar an die eine oder andere marxistische Schrift heran. Fazit seiner Überlegungen (niedergeschrieben in dem Pamphlet „Der Kampf für die Transformation Nicaraguas“): „Nur eine bewaffnete Rebellion des Volkes kann die somozistische Diktatur liquidieren“. Nicaraguas Kommunisten, die PSN, suchten damals die friedliche Koexistenz mit der Diktatur und lehnten den bewaffneten Kampf als Abenteurertum ab. Als Ramon Raudales, ein ehemaliger Mitkämpfer Sandinos gegen die Okkupation Nicaraguas durch die US–Marines (1926–1933) in Honduras eine Partisanengruppe ausbildete, war Carlos Fonseca daher mit Begeisterung dabei. Fonseca mochte sich damals nicht als Marxist bezeichnen, hegte aber noch Hoffnungen, daß die Komunisten ihre Meinung zum bewaffneten Kampf ändern würde. Als er diese Hoffnung 1962 aufgab, gründete er mit einer Handvoll Freunden die „Frente Sandinista de Liberacion Nacional“. Eine Gruppe städtischer Intellektueller machte sich daran, im entlegenen Berggebiet des Nordens unter den armen Bauern Bewußtsein zu schaffen. „Der revolutionäre Soldat muß sich das Vertrauen der Bauern erwerben, indem er ihnen Beweise für seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit liefert“, so hatte Carlos Fonseca in einer theoretischen Schrift den Weg vorgezeichnet. Während seines mehrjährigen Exils in Kuba mußte Fonseca zur Kenntnis nehmen, daß ihm die Kontrolle über die Organisation entglitt, und er konnte auch nicht verhindern, daß diese in zwei Tendenzen zerfiel. Die Tendenz des „Langen Volkskrieges“ (GPP) setzte weiterhin in erster Linie auf den langsamen Aufbau einer sozialen Basis unter den Bauern, während die „Proletarier“ mit dem Gedankengut Gramscis den Kampf in die Städte tragen wollten, um Anhängerschaft unter Studenten und Industriearbeitern zu gewinnen. Schließlich mußte der FSLN–Gründer auch noch hinnehmen, daß sein enger Vertrauter Humberto Ortega am Aufbau einer dritten Tendenz - der „Aufstandstendenz“ - beteiligt war. Der für den militärischen Kampf völlig ungeeignete Carlos Fonseca kehrte gegen den Willen Fidel Castros an die Guerillafront in Nicaragua zurück, um seine inzwischen in Frage gestellte Führungsposition zu verteidigen, die Wiedervereinigung der rivalisierenden Fraktionen zu erzwingen. Dies sollte ihm nicht mehr gelingen. Im November 1976 wurde seine Einheit bei Zinica an der Atlantikküste von der Nationalgarde entdeckt. Carlos Fonseca fiel einem Hinterhalt zum Opfer. Wahrscheinlich war es nicht nur Fonsecas unbestrittenes Verdienst als Vordenker der Revolution, sondern auch sein früher Tod, der ihn - nach der Wiedervereinigung der drei Tendenzen Anfang 1979 und dem Sturz der Diktatur am 19. Juli 1979 - zum über alle Zweifel erhabenen Vater der Revolution machte. Fonseca ist zum Symbol für die Einheit geworden, die er selbst nicht mehr erleben durfte.
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