: Raus Bekenntnis: „Hunger auf Stimmen“
■ Drei Tage tagten die SPD–Spitzengremien fast ununterbrochen, um die Konsequenzen des Hamburg–Desasters zu beraten, dann stellten sie fest: Wir wollen so viel Stimmen wie möglich
Seit gestern Mittag ist es offiziell. Trotz verheerender Wahlniederlagen in Bayern und Hamburg gibt SPD– Kanzlerkandidat Rau nicht auf. Vor der Presse in Bonn verkündete er: Ich will immer noch Kanzler werden. Ähnlich tiefschürfend waren offenbar die Diskussionen innerhalb der SPD–Bundestagsfraktion. Nachdem sich ein Teil der Abgeordneten dagegen gewehrt hatte, das Wahlziel der absoluten Mehrheit aufzugeben, verkündete Fraktionschef Vogel im Anschluß den Kompromiß: Wahlziel der SPD sei jetzt, sovel Stimmen wie möglich zu bekommen.
Über das ganze Gesicht strahlend betritt Johannes Rau die Bundespressekonferenz. Kein Zittern in den Mundwinkeln, er wirkt nicht einmal besonders unnatürlich, lediglich sehr beherrscht. Dabei fühlt er sich ganz sicher hundeelend. Nicht umsonst hat er am Montag seinen Rücktritt als Kanzlerkandidat angeboten. Zu den katastrophalen Wahlergebnissen kommt jetzt noch der Knatsch im Parteivorstand, der Rücktritt seiner beiden Lieblingsmanager und die herbe Kritik aus Parteipräsidium und Fraktion an seinem Wahlkampfstil. Aber Rau bleibt dabei. Er will sich kein neues Image verpassen lassen: „Ich soll mehr auf den Putz hauen. Das kann ich nicht. Das Grundprinzip Versöhnen statt Spalten heißt allerdings nicht, daß man die Soße der Harmonie über die Welt kippt. In der Präsidiumssitzung habe ich gesagt, ihr könnt mich so haben wie ich bin, anders bin ich nicht zu kriegen. Wollt ihr mich? Darauf haben sie dann geantwortet.“ Von allen Seiten sei ihm seine Unverzichtbarkeit bestätigt worden (Das stimmt nicht ganz,– immerhin soll Wolfgang Clement Raus Rücktritt gefordert haben.). „Ich bin also wieder da, wie sie feststellen können“, verkündet der Kandidat vor den versammelten Journalisten: „Ich will die Wahl gewinnen, die Gesellschaft verändern und das Leben menschlicher machen.“ Die Bundespressekonferenz ist so überfüllt wie schon lange nicht mehr, keiner will sich Raus Auftritt entgehen lassen. Aber genausowenig wollen die Journalisten den Beteuerungen des Kandidaten glauben, es herrsche Friede und Einigkeit im Parteivorstand: „Willy Brandt soll gesagt haben, das Gerede von der absoluten Mehrheit führe zur Desorientierung der Wähler. Fühlen sie sich von ihm im Stich gelassen?“ Hier vergießt Rau dann doch die von ihm angeblich verschmähte Soße der Harmonie: „Daß Politiker Wahlchancen unterschiedlich einschätzen, würde ich nicht für ein Zerwürfnis halten. Zwischen uns Dreien im Vorstand gibt es keine Spannungen.“ Rau will seinen versöhnlichen Wahlkampf weiterführen und den aggressiven Part Hans–Jochen Vogel, Horst Ehmke und Peter Glotz überlassen. Wenn er sagt: „Ich bin für einen fairen Wahlkampf, ich heiße Johannes Rau und nicht Heiner Geißler“, so klingt das überzeugend. Seine Versicherung „Ich gehe mit großer Zuversicht in den Wahlkampf, die sozialdemokratische Mehrheit ist zu schaffen!“ nimmt ihm dagegen niemand mehr ab. Dennoch weist er nach wie vor alle Spekulationen über ein rot–grünes Bündnis weit von sich. Genausowenig setzt er inhaltlich neue Akzente und geht in der Frage des Atomausstiegs sogar noch hinter die Parteitagsbeschlüsse zurück: „Bis zum Ausstieg ist es ein langer Weg. Mich interssiert nicht so sehr, wie lange er ist. Wichtig ist, daß wir damit anfangen.“ Die Wahlkampfregie wird nach dem Rücktritt Wolfgang Clements allein in Händen von Bundesgeschäftsführer Peter Glotz liegen. Ein netter Freudscher Versprecher zeigt, daß Glotz weiß, welch überdimensionale Aufgabe er damit am Hals hat: „Wir werden einen möglichst guten Wahlkampf in den nächsten elf Monaten machen.“ Tina Stadlmayer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen