: „Die Abneigung hat die Nazi–Ära überlebt“
Straßburg (taz) - „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Gangster, Gauner und Ganoven, Heiratschwindler, Zigeuner und verkrachte Existenzen, sie alle wollen nur Ihr Bestes, nämlich Schmuck, Ihre Wertsachen und Ihr Geld. Und sie ... verfügen über die entsprechende Kaltschnäuzigkeit und Brutalität.“ Dies schrieb im August 1985, also im vergangen Jahr, der Leiter eines Karlsruher Polizeikommissariats in einer Stadtteilzeitung. Als der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Strafanzeige gegen die diskriminierende und volksverhetzende Schrift stellte, blitzte er bei der Karlsruher Staatsanwaltschaft ab. Das Verfahren wurde niederge schlagen. Der Generalstaatsanwalt verwies in der Beschwerdeinstanz lapidar auf das „umgangssprachliche Synonym reisender Straftäter“: „Zigeuner“. Die Verfassungsbeschwerde (BVerfG) gegen diese Rechtsauffassung wurde nicht einmal zur Entscheidung angenommen. Rechtsanwalt Arnold Rossberg (Darmstadt) äußerte sich gegenüber der taz schockiert über die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts. Nicht eine einzige Zeile Begründung lieferten die Karlsruher Richter in ihrem abweisenden Beschluß. Die alltägliche Verfolgung der Sinti und Roma, die über ganz Europa verstreut mehr Menschen zählen als das Volk der Palästinenser, hat sich auch nach der Nazizeit gehalten. Simon Wiesenthal, Leiter des Dokumentationszentrums des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes in Wien: „Die Abneigung gegen Sinti und Roma hat die Nazizeit überlebt. Hier helfen keine Ausflüchte und Hinweise auf den Duden und ähnliche Lexika. Es wäre doch an der Zeit, auch durch gerichtliche Schritte die Gleichsetzung des Begriffs „Zigeuner“ mit Kriminellen zu ächten und damit wenigstens für offizielle Stellen aus der Welt zu schaffen“. Heute, 41 Jahre nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die rund eine halbe Million Sinti und Roma auf bestialische Weise ermordete, sind es gerade die offiziellen Stellen, die die Pogrome gegen die ethnische Minderheitengruppe der Sinti und Roma nach wie vor schüren. Da bittet die Polizei im schwäbischen Villingen–Schwenningen die Bevölkerung um „Mithilfe“ bei der Beobachtung von „Zigeunern“. Da rechtfertigt der bayerische Innenminister die polizeiliche Datenspeicherung unter der Rubrik „Typ“ mit der gesonderten Erfassung „Neger, Mischling, Asiat, Zigeuner“. Diese Sonderrubrik fällt, so erklärt die Bayerische Landesregierung noch am 1. Nov. 86 dem deutschen Bundestag, unter die in Bayern erforderliche Erfassung der „Volkszugehörigkeit“. Aber nicht nur im CSU–Staat Bayern stehen die Zeichen der Zeit auf Rassismus. Der nordrhein– westfälische Innenminister Schnoor hat bis heute keine der in Dortmund beschuldigten Sinti– Familien rehabilitiert, die zu rnrecht als „organisierte Zigeunerbanden“ durch Polizeibehörden diskiminiert worden waren. Vor „Landfahrern im Anmarsch“ warnte die Dortmunder Kripo 1984 und 85 via Presse die Bevölkerung und rechnete sogar „mit noch mehr Wohnungseinbrüchen“. Unter ihrem vermeintlich sachbezogenen Titel „TWE“ für „Tageswohnungseinbrüche“ beschäftigte sich die Polizei nur mit Angehörigen der Volksgruppe Sinti und Roma. Darmstadts sozialdemokratischer Oberbürgermeister Günther Metzger schoß im August 1983 den Vogel bei der Verfolgung mehrer Sinti–Familien ab. Er ließ während des Urlaubs der insgesamt acht Familien ihre Wohnungen abreißen, um sie so zu vertreiben. 50 Personen waren obdachlos. Das Bundeskriminalamt (BKA) strich zwar das Kürzel „ZN“ und das Merkmal „Landfahrer“ aus seinen Dateien. Doch als Ersatz im polizeilichen Überwachungs– und Informationssystem tauchte nunmehr die Bezeichnung (HWAO) für „häufig wechselnder Aufenthaltsort“ auf. Doch nicht einmal diesen Vorhalt kann man den Sinti und Roma heute noch machen. 95 Prozent von ihnen haben in der BRD einen festen Wohnsitz. Trotzdem werden sie nach wie vor als „Landfahrer“ etc. denunziert. Mit dem Mittel der pauschalen Diskriminierung als Asoziale und Kriminelle haben bereits die Nazis den Völkermord gegen die Sinti und Roma vorbereitet, sagt der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. Gegen die „Ausgrenzung seiner Volskgruppe“ und die „Pauschalpropaganda“ gab es dann keine Möglichkeit mehr sich zu wehren. Heutzutage machen die Sinti und Roma wieder die Erfahrung, daß sie „zunehmend“ und „ohne Rücksicht auf das Ansehen und die Würde des einzelnen Menschen“ pauschal stigmatisiert werden. Der Gedanke, „es ist wieder so weit“, kommt vor allem den Älteren immer häufiger. Mit ihrer Beschwerde bei der Menschenrechtskommission in Straßburg gegen die Pogromstimmung und Hetze in der Bundesrepublik wollen die Sinti und Roma nach ihren vergeblichen Versuchen vor deutschen Gerichten nun auf der Europäischen Ebene einen Katalog erstreiten, der die Rechte von ethnischen Minderheiten verbindlich vorschreibt. Felix Kurz
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