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„Keine Angst vor Kommunisten“

■ Revisionsverfahren im Prozeß gegen türkische Antifaschisten / „Tötungsabsicht“ unklar / Hauptbelastungszeuge wirkt unglaubwürdig / Verhalten der Polizei wirft Fragen auf

Aus München Luitgard Koch

„Das ist doch völlig unverständlich - ein Opfer, das vom Täter verletzt wurde, geht auf ihn zu und sagt mach weiter.“ Richter Aschauer vom Münchner Schwurgericht reagierte ungläubig auf die Zeugenaussage des türkischen Lageristen Kudret K. Doch die Antwort des Sympathisanten der „Grauen Wölfe“ kam prompt. „Ich hab doch keine Angst vor dreieinhalb Kommunisten, sonst wäre ich doch gar nicht hingegangen“, brüstete er sich. Kudret ist Hauptbelastungszeuge und Nebenkläger im Prozeß gegen zwei türkische Antifaschisten. Im November vergangenen Jahres verurteilte das Landgericht München den 24jährigen Birol A. wegen versuchten Totschlags zu acht Jahren und den Arbeiter Yüksel S. (23) wegen psychischer Beihilfe und Widerstand zu vier Jahren Gefängnis. „Mit bedingtem Tötungsvorsatz“ habe Birol am späten Abend des 11. Januar 85 beim Flugblattverteilen vor den Werkstoren der Münchner Firma BMW auf den kräftig gebauten Kudret eingestochen, entschied das Gericht. Im Sommer dieses Jahres hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil auf. Kudrets Version verblüffte bereits den Generalbundesanwalt bei der Urteilsrevision. Außer Kudret, der in der Türkei wegen versuchten Totschlags, Bombenherstellung und unerlaubten Waffenbesitzes eineinhalb Monate in U–Haft saß, und seinem Freund Malak konnte niemand Birol als den „Messerstecher“ identifizieren. Von den am Tatort anwesenden Beamten - die „Grauen Wölfe“ hatten zu ihrem Schutz die Polizei über die Flugblattaktion informiert - konnte keiner genaue Angaben zum Verlauf der Auseinandersetzung machen. „Die Beamten haben gesagt, was suchst du noch hier, geh nach Hause“, schilderte Kudret das Verhalten der Polizei vor Gericht. Daß die Beamten die angeblich stark blutenden Wunden erst nach einem Hinweis Kudrets bemerkten, erschien dem Richter merkwürdig. Der Polizei teilte nur Kudret mit, daß Yüksel den Täter kenne. Warum er nicht sofort eine Personenbeschreibung abgab, da er nach seinen Angaben doch Birol als Messerstecher erkannt habe, konnte er auch bei diesem Gerichtstermin nicht erklären. Ebensowenig, warum er selbst bei seiner ersten Vernehmung im Krankenhaus nicht zu Protokoll gab, daß Yüksel ihn geschlagen und Birol mit dem Zuruf „Stich doch zu“ angefeuert haben soll. Erst Tage später bei der Vernehmung durch den Polizeibeamten Reuter gab Kudret eine Mittäterschaft Yüksels zu Protokoll. Bereits bei der ersten Verhandlung machte der Polizeibeamte Reuter keine gute Figur. Er behauptete, das handschriftliche Original des Vernehmungsprotokolls vernichtet zu haben. Reuter wird am Montag vernommen.

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